Adolf Wölfli

Werktitel
Adolf Wölfli
Untertitel
Kurzoper
KomponistIn
Beteiligte Personen (Text)
Wölfli Adolf, Haas Georg Friedrich
Entstehungsjahr
1980-1981
Dauer
25m
Genre(s)
Neue Musik
Subgenre(s)
Modern/Avantgarde
Gattung(en)
Oper/Musiktheater
Elektronische Musik
Besetzung
Solostimme(n)
Orchester
Zuspielung
Besetzungsdetails

Solo: Bariton (1, hoher Bariton)

Oboe (1), Englischhorn (1), Bassklarinette (1), Fagott (1), Klavier (1, präparitertes), Violine (2), Viola (1), Violoncello (1), Kontrabass (1), Zuspielung (1, Tonband)

Art der Publikation
Verlag
Titel der Veröffentlichung
Georg Friedrich Haas: Adolf Wölfli
Verlag/Verleger

Bezugsquelle/Preview: Universal Edition

Beschreibung
"
Grundgedanke war, die Isolation und das In-Sich-Eingesperrt-Sein der historischen Person Adolf Wölfli auf der Bühne darzustellen. Alles, was auf der Bühne zu sehen bzw. zu hören ist, soll sich auf Texte bzw. Bilder von Wölfli beziehen.

Wölfli monologisiert (die Textmenge, die der Solist hiebei in knapp 25 Minuten bewältigt, würde bei einer traditioneller Operntextvertonung für etwa 90 Minuten ausreichen...), er ist hierbei den Produkten seiner Phantasie ausgeliefert: einer 'Hinrichtungsmaschinerie', deren 'Glockenschläge' und 'Kanonenschüsse' formbildend wirksam werden.

"...Grauenhaft und großartig zugleich ist dann eine automatische Figur (die Anregung für Spielwerk. Figuren hat Wölfli wohl vom Zeitglockenturm in Bern), die er die [lt][lt]obligatorische Hinrichtung[gt][gt] nennt und als ein [lt][lt]ergötzliches Experiment[gt][gt] (!) und eine [lt][lt]sinnreiche Erfindung[gt][gt] bezeichnet: immer mit dem zwölften Stundenschlag wird der Delinquent durch eine Kanone auf den Kopf getroffen und getötet, worauf im Nu die Kanone neu geladen ist und der Delinquent wieder durchs Gitter grinst, als ob nichts geschehen wäre"
(zitiert nach Elsbeth Pulver: Gezeichnet Adolf Wölfli, Unglücksfall zur Struktur von Adolf Wölflis Sprachwerk; Ausstellungskatalog Adolf Wölfli, Bern 1976)

Kopien von Abbildungen seiner selbst (sowohl der Sänger, als auch die Instrumentalisten und eventuell auch der Dirigent sollen als 'Wölflis' auf der Bühne aktiv werden, sie alle sind in derselben Weise maskiert, wie Wölfli sich selbst in seinen Zeichnungen dargestellt hat) sowie seinen sexuellen Fantasiegebilden in Gestalt unbekleideter junger Frauen.

Kompositionstechnisch versuchte ich, Wölflis Technik des Deformierens traditioneller Elemente (wie z. B. des Reimgedichts oder des Reiseromans oder religiöser Texte) in die Musik zu übertragen: Verschmutzte, deformierte Tonalität, historische Klangmuster, die sich als Atrappen von Stützen erweisen, die dann quasi in sich selbst zusammenbrechen.

Wichtig war mir, daß die musizierenden Instrumentalisten direkt in das dramatische Geschehen miteinbezogen sein sollten (gewissermaßen als integrierter Bestandteil jener Bühnenmaschinerie, der Wölfli ausgeliefert ist): Einige Partien sollten in völliger Finsternis realisiert werden (diese Stellen sind so komponiert, daß sie leicht auswendig gelernt werden können), im Schlußteil fungieren Lichtblitze ('zerhacktes' Licht) als Steuerung der Rhythmik des jeweiligen Klangwechsels. Die aleatorisch komponierte 'Tanzszene' ermöglicht, daß die Interpreten sich von den Notenpulten entfernen und wie die Figuren des Spielwerks einer Uhr mit Wölfli 'tanzen' können.

Eine Handlung im traditionellen Sinne gibt es nicht. Was sich im Verlauf des Stückes herausstellt, ist die Unfähigkeit der religiösen Elemente, Wölflis Schuldgefühle zu kompensieren. Die Frohbotschaft "Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute großes Heil widerfahren" wird angesichts der äußeren und inneren Lebenssituation Adolf Wölfli zur bitteren Ironie, zur leeren Floskel, zur Lüge.

Es gibt keine zweite Person in dieser Oper. Religiöse Motive, Reiseberichte aus irrealen Fantasielandschaften und manisches Aufzählen von Metaphern männlicher Sexualität (Schlangen, Fontänen) werden aneinandergereiht und miteinander verbunden. Als Konstante bleibt die 'Hinrichtungsmaschinerie' - Symbol einer Gewalt der gesellschaftlichen Ordnungssysteme, der der Einzelne hoffnungs- und verständnislos ausgeliefert ist.

Eine zentrale Rolle in der Oper spielt das Licht. Zu Beginn (quasi als 'Ouverture') werden im Halbdunkel rhythmisch unabhängig die einzelnen Instrumentalgruppen (Streicher, Holzbläser, Klavier) sowie der Sänger (der einen kaum verständlichen Gebetstext vor sich hinmurmelt) vorgestellt: Sobald das Licht sich erhellt und die MusikerInnen deutlich beleuchtet, verstummen sie.

Dort, wo die Musik komplex ausnotiert ist, versucht sie, Wölflis Technik des Montierens vertrauter Elemente zu irrealen Fantasiegebilden zu übernehmen.

Das Erlöschen des Lichts, die völlige Finsternis (auch die Pultbeleuchtung muß erlöschen) ist nicht nur ein dramatisches Element, sie hat auch Auswirkung auf die musikalische Faktur: Die Abwesenheit von Licht führt zu verhältnismäßig einfachen, statischen, improvisierten musikalischen Gebilden; zuletzt wechseln nur mehr zwei Obertonakkorde (im Abstand einer vierteltönig vergrößerten großen Sekunde) ab, der Wechsel wird durch grelle Lichtblitze angegeben, auf die völlige Dunkelheit folgt - für den Zuschauer wird dadurch die Bewegung zum Stehbild, visueller und akustischer Eindruck nähern sich gegenseitig an."
Georg Friedrich Haas, Werkeinführung, Universal Edition, abgerufen am 04.10.2021 [https://www.universaledition.com/georg-friedrich-haas-278/werke/adolf-wolfli-1052]

Auftrag: Steirischer Herbst

Uraufführung
1. November 1981 - Schauspielhaus Graz
Veranstalter: Steirischer Herbst
Mitwirkende: Wolfgang Müller-Lorenz (Bariton), Grazer Philharmoniker, Wolfgang Bozic (Dirigent)

Weitere Informationen: Werk Insgesamt wurden vom Steirischen Herbst vier Komponisten - Georg Friedrich Haas, Gösta Neuwirth, Anton Prestele und Wolfgang Rihm - mit Kurzopern nach Adolf Wölfli beauftragt. Text nach Adolf Wölfli