Flöte (1, Piccoloflöte), Klarinette (1, Kontrabassklarinette), Fagott (1), Horn (1), Klavier (1, in der Stimmung von Grisey’s Vortex Temporum), Violine (1), Viola (1), Violoncello (1)
Beschreibung
"Schnelle Klavierfiguren in den oberen Lagen glitzern wie Sterne in der Schwerelosigkeit. Karussellartig wiederholt, als würden sie sich um die eigene Achse drehen. Dem überlagernd erzeugen Einwürfe in den Streichern und Bläsern das Gefühl unaufhaltsamer Hektik. Kaleidoskopartig schwebt das Klanggefüge umher, zusammengehalten durch vier, je um einen Viertelton tiefer gestimmte Klaviertöne. Diese Gravitationszentren wirken in ihrem Auftritt erst einmal irritierend. Deplatziert verharren sie im Raum, bis sich der Klang wandelt, sich ihnen anpasst und sie in der Unendlichkeit verklingen. Die intrinsische Rastlosigkeit weicht unerwarteter Ruhe, bevor der klangliche Kosmos wie ein Blatt Papier zerrissen wird. Klavierfiguren im Fortissimo und der Einsatz von Kontrabassklarinetten und Kontrafagott schaffen eine dem Werk bislang unbekannte Brachialität. „Das Stück geht an seiner eigenen Bewegung zugrunde.“ Die nunmehr gezupften vier verstimmten Klaviertöne klingen kaum merklich im Hintergrund. Die letzten Fetzen destruktiver Hektik.
In seinem Auftragswerk für das Ensemble Phoenix Basel „…und sie bewegt sich doch“ (2021) verbindet Mathias Johannes Schmidhammer Gerard Griseys „Vortex Temporum“ auf äußerst kreative Art mit Galileo Galileis Beobachtungen zur Kreisbewegung der Jupitermonde. Dabei schafft er, wie so oft, eine eindrucksvolle Klangerzählung, die sich durch einprägsame Momente und Eindrücke auszeichnet, die den Hörenden noch lange in Erinnerung bleiben. „Es ist eine Geschichte und du möchtest erfahren, wie diese Geschichte der Klänge ausgeht.“"
Katharina Darya Ressl (2023): Der Südtiroler, der nach Wien aufbrach, um Komponist zu werden – Mathias Johannes Schmidhammer im Porträt. In: mica-Musikmagazin.
"Der Titel des Stückes verweist auf den berühmt gewordenen Satz von Galileo Galilei, der – nachdem er das von ihm entdeckte heliozentrische Weltbild widerrufen musste – diese Aussage gemurmelt haben soll. Galilei erkannte, dass sich die Erde um die Sonne bewegen muss, weil er die Kreisbewegungen der Jupitermonde um den Planeten betrachtet hatte.
Das Stück ist im Rahmen des Trabant-Workshops des Ensemble Phoenix Basel entstanden. Aufgabe des Workshops war es, eine Komposition zu schreiben, die sich auf ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts der Neuen Musik bezieht, quasi wie ein Trabant sich um ein Gestirn dreht. In der diesjährigen Auflage des Workshops war das Werk Vortex Temporum von Gerard Grisey.
Ich habe mich auf mehrerlei Weise von diesem Werk inspirieren lassen. Einerseits spielen sowohl in meiner Komposition als auch in Vortex Temporum schnelle Klavierfiguren eine große Rolle. Das Klavier spielt immer das gleiche Tonmaterial in seinen schnellen Figuren, dadurch wirken die Gesten so, als würde man sich um die eigene Achse drehen. Während die Figuren in Griseys Stück von Anfang an wie ein abwärts führender Strudel wirken, beginnt meine Komposition sehr schwerelos, quasi ohne Zeit und Raum. Die verwendete hohe Lage im Klavier unterstützt diesen Eindruck. Mich hat diese Figur immer an ein Schweben im All erinnert, bzw. um dem Motto des Workshops gerecht zu werden dem Drehen von Monden um einen Planeten.
Eine weitere Gemeinsamkeit mit Vortex Temporum ist die Tatsache, dass ich in diesem Stück die selbe Stimmung des Klaviers verwendet habe, wie Grisey. In Vortex Temporum sind vier Töne im Klavier einen Viertelton tiefer gestimmt, was dem Klavier eine ganz andere Klangfarbe verleiht, weil normalerweise Mikrointervalle im Klang des Klaviers keine Rolle spielen. Die vier Töne sind in meiner Komposition immer Gravitationszentren. Das heißt, sie erklingen immer in relativ lauter Dynamik oft mit Sforzato, und ihre Verwendung beeinflusst auch gleich die über ihnen liegenden Töne, quasi so, als würden sie die restlichen Töne der Harmonik anziehen. Diese Töne unterbrechen auch ganz bewusst den schwerelos wirkenden Eindruck der restlichen Passagen, sodass die Zuhörer:innen das Gefühl haben sollen, dass einmal kurz eine Kraft auf sie wirkt, während sie danach sofort wieder in die Schwerelosigkeit entlassen werden. Die anderen Instrumente (außer Klavier) lassen einzelne Töne der Harmonien erscheinen und verschwinden, was einen wabernden, unscharfen Eindruck hinterlässt.
Eine besondere Stelle in diesem Stück ist jene, wo plötzlich die Figur im Klavier zu einem Halt kommt, und das Klavier nur immer wieder ein e‘‘‘‘ wiederholt. Die Harmonik in den anderen Instrumenten bleibt gleich, was dazu führt, dass das Gefühl der Schwerelosigkeit von davor noch verstärkt wird. Dieser Teil markiert eine Zäsur im ganzen Stück, denn danach setzt das Klavier mehrmals dazu an, die Figur des Anfangs zu spielen, sie kommt jedoch nicht mehr ins Rollen. Stattdessen erklingen die Klavierfiguren plötzlich im Fortissimo und verlassen auch langsam die höchste Lage des Instruments. Die Verwendung von Kontrabassklarinette und Kontrafagott verleihen dem Stück eine bislang nicht gekannte Brachialität. Das Stück hat einen sehr energetischen und wirklich langen Höhepunkt, bevor es in sehr leiser Dynamik und sehr fragil zu Ende geht."
Mathias Johannes Schmidhammer (2022), Mail
Auftrag: Ensemble Phoenix Basel (mit freundlicher Förderung des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport)
Uraufführung
8. Jänner 2022 - Basel (Schweiz), Gare du Nord
Mitwirkende: Ensemble Phoenix Basel
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 7. 3. 2023): Schmidhammer Mathias Johannes . „…und sie bewegt sich doch“. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/206827 (Abrufdatum: 23. 11. 2024).