anaptyxis

Werktitel
anaptyxis
Untertitel
Für großes Orchester
KomponistIn
Entstehungsjahr
2000
Dauer
14m
Genre(s)
Neue Musik
Subgenre(s)
Experimental/Intermedia
Modern/Avantgarde
Gattung(en)
Orchestermusik
Besetzung
Orchester
Besetzungsdetails

Orchestercode: Picc, 2/0/3, BKlar/2, KFag - 2 Picctrp, 4/3/2, BPos/1 - 4 Perc, Hf - 16/14/12/10/8
Piccoloflöte (1), Flöte (2), Klarinette (3), Bassklarinette (1), Fagott (2), Kontrafagott (1), Horn (4), Trompete (3), Posaune (2), Bassposaune (1), Tuba (1), Harfe (1), Perkussion (4), Violine (30), Viola (12), Violoncello (10), Kontrabass (8)

ad Flöte: eine davon auch Piccoloflöte
ad Klarinette: eine davon auch Klarinette in Es
ad Trompete: eine davon Kleine Trompete in hoch B
ad Posaune: mit Quartventil

Art der Publikation
Verlag
Titel der Veröffentlichung
anaptyxis

Bezugsquelle/Partitur und Stimmen: Ricordi Berlin

Beschreibung
"Was an Olga Neuwirths Musik schon bei der ersten Begegnung auffällt, ist die Rätselhaftigkeit des Klangs. Mit seiner bewegten, seltsam oszillierenden Oberfläche, seinen verschlungenen Linien und schillernden Farben hat er etwas Maskenhaftes, und wie jede Maske verbirgt er und offenbart er zugleich. Er verlockt zum Betreten der imaginären Räume, die sich dahinter auftun und in denen sich musikalische, visuelle oder literarische Imagination vielfältig bricht. Was einen da erwartet, klingt schon in den Titeln, an: Lonicera caprifolium, Vampyrotheone, Akroate Hadal, Spleen, Hooloomooloo… Von Kletterpflanzen, imaginären Tiefseekraken, Tiermenschen, Abgründen, Labyrinthen und Wucherungen aller Art wird da erzählt. Der Zuhörer fühlt sich ein wenig wie Alice im Wunderland. Hinter dem Spiegel der Klangoberfläche findet er sich in einer surrealen Welt der Künstlichkeit wieder, in der Schein und Sein, vertraute Erfahrung und schockhafte Vision eine nicht mehr ganz geheure Mischung eingehen.

Es sind Facetten eines sensiblen künstlerischen Bewusstseins, das einen neugierigen, kritischen und bisweilen erschreckten Blick auf die menschliche Wirklichkeit wirft. Es gibt sich aber nicht – was angesichts dieser Wirklichkeit nahe läge – Fluchtinstinkten hin, sondern verarbeitet die Eindrücke zu Vexierbildern von beunruhigender Intensität. Meist sind sie versetzt mit einem Schuss spielerischer Leichtigkeit, mit Ironie und nicht zuletzt Poesie. Die Mischung ist charakteristisch für viele Werke Olga Neuwirths. Am überzeugendsten ist sie ihr vielleicht gelungen in ihrem ersten Musiktheaterwerk „Bählamms Fest“, dem Stück, das 1999 bei den Wiener Festwochen mit überragendem Erfolg uraufgeführt wurde und ihr, nach jahrelanger Erfahrung mit konzertanten und kleineren multimedialen Werken, nun den endgültigen Durchbruch im internationalen Musikbetrieb bescherte.

Die Komposition „anaptyxis“ ist das vierte große Orchesterstück von Olga Neuwirth. Es reichert die Orchesterpalette vor allem im Schlagzeug mit zusätzlichen Instrumenten an, darunter Zimbeln, Almglocken, zwei Zithern, zwei Ambossen, zwei Sirenen und Klingelspiel. Charakteristisch für die klangliche Physiognomie des Stücks sind außerdem die Verstärkung der hohen Register durch 3 Piccolos, Es-Klarinette und kleine Trompete in hoch B, was zum Teil zu grellen Klangwirkungen führt, sowie die Skordatur der weiten Geigen; ihre vier Saiten sind alle einen Viertelton heruntergestimmt, wodurch eine permanente Verunklarung der Tonhöhen entsteht.

Die instrumentale Disposition verrät viel über Klangbild und Ausdruckshaltung des Stücks. Prozesshafte Verläufe dominieren. Die Bewegungen im dichten Stimmengeflecht verlaufen häufig in kleinsten Schritten, mittels Skalen oder Glissandi; gelegentlich erstarren sie in Ostinati. Der Klangfarbe kommt eine herausragende Bedeutung zu. Gleich zu Beginn fixieren die Zithern, für Olga Neuwirth Symbol einer ambivalenten Volkstümlichkeit, mit zwei hintergründigen Borduntönen im Vierteltonabstand eine Art statischer Klangachse für das instabile Geschehen. Ihre Saiten werden durch sogenannte E-Bows in Dauerschwingung versetzt, was einen Klang wie von einem elektronischen Gerät erzeugt.

„Anaptyxis“ ist ein Begriff aus der Geologie und bedeutet Auffaltung. Musikalisch ist denn auch so etwas wie ein Vorgang der Auffaltung und Überlagerung hörbar. Mit gewaltigem Druck bäumen sich die musikalischen Schichten auf, schieben und verkeilen sich ineinander und brechen auf den Scheitelpunkten zusammen. Nicht erst zum Schluss, wo ein harter Tuttiakkord mit Hammerschlag die weitere Entwicklung abwürgt, kommt ein katastrophisches Moment ins Spiel. Eine ferne Erinnerung an die expressionistische Phase der Wiener Musik um 1908, formuliert von einer Österreicherin mit Jahrgang 1968 in einem Moment – zu Anfang des Jahres 2000 - , da sie sich zum Protest gegen die politischen Verhältnisse in ihrem Land herausgefordert fühlte. „Ich lasse mich nicht wegjodeln“: Was sie damals laut in der
"
Werkkommentar (Ricordi Berlin), abgerufen am 24.06.2021 [https://www.ricordi.com/de-DE/Catalogue.aspx/details/441643]

Auftrag: Bayerischen Staatsoper für das Bayerische Staatsorchester

Uraufführung
17. April 2000 - München (Deutschland)
Mitwirkende: London Symphony Orchestra, Boulez Pierre (Dirigent)