Celesta (1), Schlagzeug (5), Violine (30), Viola (12), Violoncello (10), Kontrabass (8)
Bezugsquelle/Partitur und Stimmen: Ricordi Berlin
Beschreibung
"Musik als Zeitkunst stellt sich, wie auch immer, in unseren Alltag. hält ihn hoffentlich, so wenigstens für mich, für einen Augenblick fest, wandelt ihn um. so dass wir der profanen Notwendigkeit des Unterbrechens einen Moment von Entscheidung abringen können.»
Ausgehend von diesen Worten aus einem Text der Komponistin Olga Neuwirth, lässt sich der Umgang mit unserer Erinnerung kritisch befragen: Normalerweise hören wir etwas, setzen es mit anderem Gehörten in Verbindung und schaffen so ein Netz aus erinnerten Momenten und Assoziationen, das uns die Wahrnehmung musikalischer Verläufe ermöglicht. Bei genauerem Hinsehen jedoch verweisen solche Augenblicke des Wiedererkennens eher auf die Unwiederholbarkeit des einmal Gewesenen; sie nehmen kein zweites Mal dieselbe Form an, sondern sind immer mit dem Element des Andersseins verbunden. Dieser Befund einer nicht aufzuhaltenden Veränderung ist es, der sich in Olga Neuwirths eigenwilliger Musiksprache äußert und ihren Werken den Anschein permanenten Vorwärtstreibens - häufig gepaart mit ironischen Untertönen und grimmigem Humor - einprägt. Auf den Zuhörer wirkt dies wie ein unaufhörlicher Strudel, in dem sich ständig Neues zu bilden scheint, so dass letztlich jedem Versuch einer Orientierung die Grundlage entzogen wird.
Solche Verunsicherungen des Hörers provoziert die Komponistin auch in der Komposition «Clinamen / Nodus» für Streichorchester. Celesta und Schlagzeug (1999). Der Titel des Werkes verbindet zwei Zustände miteinander, die in der Musik eine kompositorische Umsetzung erfahren: So bedeutet «Clinamen» so viel wie «Neigung» einer Sache, wird bei Sigmund Freud aber auch als Synonym für das Unvorhersehbare. den katastrophalen Moment verwendet» (Olga Neuwirth) und ist damit eine Metapher für die Unvorhersagbarkeit des musikalischen Verlaufs. Demgegenüber bezeichnet «Nodus» einen «Knoten». beschreibt also in übertragenem Sinn einen Augenblick der Verwirrung, in dem alles zum ausweglosen Stillstand kommt. Der Wechsel dieser beiden unterschiedlichen Perspektiven wird mit Hilfe eines Instrumentariums realisiert, das aus zwei unterschiedlichen Klangträgern besteht: Dem Streichorchester steht ein eigenständiges Schlagzeugensemble mit zahlreichen Zusatzinstrumenten (etwa Sirenen, Zithern und Hawaii-Gitarre) gegenüber.
Der chaotischen Klangsituation, mit der das Stück in verhaltener Lautstärke beginnt, sind bereits verschiedenste Optionen für die weitere Entwicklung eingeschrieben; sie wird in gleichem Maße zum Ausgangspunkt für musikalische Bewegungsströme wie auch für sich wiederholende, maschinenhaft rhythmisierte Muster und aus ihnen resultierende stehende Flächen, in denen jegliche Entwicklung stecken bleibt. Von diesem initialen Fundus wegführend, bringt die Musik unablässig neue Gestalten hervor und konzentriert sich immer wieder in neuen Knoten. Der Wechsel klanglicher Zustände spielt sich hierbei als unaufhörliches Pendeln zwischen verschiedenen Stadien des Ausdrucks ab, im Kontrast zwischen sensibel ausgehörten Geweben geräuschhafter Klangspuren und der eruptiven Gewalt dynamischer Ausbrüche.
In den Knotenpunkten der Musik kommen die Bewegungsansätze scheinbar zum Erliegen; sie bleiben hier förmlich in Klangfeldern hängen, die um die Töne d und es lokalisiert sind und damit den Mittelpunkt des gesamten Klangraumes markieren. In anderen Fällen erzeugt die rhythmische Bewegung eine so hohe musikalische Ereignisdichte, dass es kein Weiterkommen mehr gibt und die Musik abbricht, um sich einen neuen Weg zur Entfaltung zu suchen. In diesem Zusammenhang konstituiert die mehrmalige Wiederkehr einer charakteristischen Rhythmusfigur ein Moment von Erinnerung. Dieses scheinbar feststehende Erinnerungsbild unterliegt jedoch der Variation und Ausdifferenzierung durch Uminstrumentierung und Überlagerung. Ein Vergleich zum bereits Gehörten macht deutlich, dass hier kein Takt dem anderen gleicht und kein Klangmoment unverändert repetiert wird. In der Wiederholung äußert sich daher vor..."
Werkkommentar, Ricordi Berlin, abgerufen am 24.06.2021 [https://www.ricordi.com/de-DE/Catalogue.aspx/details/441635]
Auftrag: London Symphony Orchestra
Widmung: Pierre Boulez
Uraufführung
26. Jänner 2000 - London (Großbritannien)
Mitwirkende: London Symphony Orchestra, Pierre Boulez (Dirigent)
Aufnahme
Titel: OLGA NEUWIRTH: Clinamen / Nodus
Label: KAIROS (0012302KAI)
Datum: 2002
Mitwirkende: London Symphony Orchestra, Pierre Boulez (Dirigent)
Titel: Construction in Space
Plattform: YouTube
Herausgeber: London Symphony Orchestra – Thema
Datum: 28.04.2020
Mitwirkende: London Symphony Orchestra, Pierre Boulez (Dirigent)
Weitere Informationen: KAIROS
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 1. 7. 2021): Neuwirth Olga . Clinamen / Nodus. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/140162 (Abrufdatum: 24. 12. 2024).