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Spiegel I-VII

Werktitel
Spiegel I-VII
Untertitel
Für großes Orchester und Tonband. Gesamtzyklus
Opus Nummer
WV 58
Komponist:in
Entstehungsjahr
1960–1961
Dauer
~ 1h 30m
Genre(s)
Neue Musik
Gattung(en)
Orchestermusik
Besetzung
Orchester
Zuspielung
Art der Publikation
Verlag
Titel der Veröffentlichung
Friedrich Cerha: Spiegel I–VII. Bühnenwerk für Bewegungsgruppen, Licht und Objekte (1960/1961)
Verlag/Verleger
Abschnitte/Sätze

Spiegel I, Spiegel II, Spiegel III, Spiegel IV, Spiegel V, Spiegel VI, Spiegel VII

Beschreibung

"Die Spiegel wurden 1960/61 komponiert, der Herstellung der Reinschriften, bei der an der Komposition nichts Wesentliches verändert wurde, erstreckte sich bis 1971. Die Stücke sind rein musikalisch erfunden. Es ist aber wahrscheinlich, dass jene Phänomene, die mich am stärksten bewegen und zu ständiger Auseinadersetzung zwingen … unbewußt meine Klangvorstellungen gespeist haben. Daher die Wahl des Titels.“ So greift etwa „Spiegel VI“ zurück „auf die isolierten Schläge von Spiegel I und Einzelereignisse aus Spiegel IV, verdichtet sie aber zu einer ostinaten Bewegung, deren Penetranz ihre nicht nur vordergründige Logik für mich erst in der Gesamtansicht des Zyklus gewinnt.“ Als da sind: Bewegte Flächen, die die Schläge von Spiegel I langsam, „ in den Konturen unschärfer werdend“, überführen (Spiegel II). Und immer weitere Modifikationen … [...]

Für alle meine Musik gilt, dass sie Prozesse erzählt, in Prozessen abläuft. In den ‚Spiegeln’ laufen ja sozusagen oft kontrapunktisch Prozesse nebeneinander her. Die Rezeption der ‚Spiegel’ war merkwürdig. Bei den ersten Aufführungen hat man von ‚intellektuellem Experiment’ gesprochen, von einer sozusagen reinen ‚Kopfmusik’. Ich bin erst in den Achtzigerjahren darauf gekommen,  wie sehr in den ‚Spiegeln’ eigentlich die in mir nicht aufgearbeiteten Erlebnisse des Krieges hochgespült wurden. Ich hatte bei der Entstehung der ‚Spiegel’ natürlich visuelle Eindrücke, die ich dann niedergeschrieben habe. Die Vorstellung von einem ‚Welttheater’. Das ist neben dem ‚Netzwerk’ entstanden, das sich auch damit beschäftigt, wie unsere Welt funktioniert."
Friedrich Cerha (1972), nach Heinz Rögl: Eröffnungskonzert WIEN MODERN im Großen Konzerthaussaal: Friedrich Cerhas „Spiegel I-VII“ mit dem ORF-RSO Wien (Nachbericht). In: mica-Musikmagazin.

"Der «Ur-Anfang» des ersten Teils verzweigt sich in vielfältigen Bewegungsformen zueinander und auseinander, spannungsgeladene Klangreibungen münden in den gleichgestimmten Einklang am Ende des letzten Teils. Der spielfilmlange Blick auf das große Ganze, der nicht zuletzt das Verhältnis von Individuum und Masse reflektieren sollte, kam 1960 einem revolutionären Wendepunkt der Avantgarde gleich."
Wien Modern (2020), abgerufen am 13.10.2020 [https://www.wienmodern.at/2020-friedrich-cerha-spiegel-20201120-0730-wi…]

"Der optische Aspekt hat in allen Phasen der Entstehung der Spiegel eine wesentliche Rolle gespielt. Bei der Niederschrift dieses szenischen Entwurfs (1961) war ich mir immer darüber im klaren, dass es nicht eine einzige zwingende Verklammerung von optischer und akustischer Ebene geben kann, sondern im Zusammenwirken beider ein Feld von Überschneidungen entsteht, in dem im einzelnen verschiedene Lösungen möglich sind. Regisseur und Choreograph sollen sich also möglich wenig gebunden oder gar bevormundet fühlen und Raum für individuelle kreative Entfaltung haben.

Die deskriptive Aufzeichnung meiner eigenen Vorstellungen scheint dem zu widersprechen, und ist ein Verfahren, das zu Missverständnissen führen kann. Ich habe mich trotzdem dazu entschlossen, um ein Bild von Eindrücken zu geben, die ausgelöst werden sollen. Nur die Grundtendenz der in diesem Entwurf beschriebenen Vorgänge ist verbindlich. Überblickt man das Gesamtkonzept, so lässt sich mühelos einiges am Regeln für die Darstellung ableiten:

Das einzelne Wesen, seine individuelle Entwicklung, sein Schicksal ist nicht Gegenstand der Darstellung. Leben tritt immer als Gemeinschaft auf, expressionistische Akzente sind zu vermeiden. In einer bestimmten historischen Situation naheliegende Symbolgehalte sollen nie gewaltsam verdeutlicht werden. Das Bewegungsinventar des klassischen Balletts ist für die Lösung der in diesem Stück gestellten Aufgaben ungeeignet. Die Bewegungen der Akteure sind oft ähnlich, aber nicht gleich; sie sind nur in seltenen Ausnahmefall simultan. Ähnlichkeit der Bewegung und zeitliche Koordination sind stärker, wenn die Aufgabe eine gemeinsame ist.

Die Musik enthält zwischen einzelnen Teilen starke formale Bezüge, Varianten, und variierte Reprisen. Im optischen  Bereich sind solche ebenfalls intendiert, beide Beziehungssysteme decken einander aber nicht immer, wiewohl das optische Geschehen grundsätzlich aus der Musik zu entwickeln ist. Durch das Zusammenwirken der beiden Ebenen  soll auf diese Art eine Komplexierung der Beziehungen erreicht werden. Es wäre richtig, wenn - analog zur Musik - auch im optischen, von adäquat gewähltem Material ausgehend, formal beherrschte Komposition ästhetischen und dramatischen Geschehens als wesentlich erkennbar wäre, die sich zu emotionellen und geistigen Grundlagen so verhält, wie die Musik es tut."
Friedrich Cerha: Werkeinführung Universal Edition, abgerufen am 15.10.2020 [https://www.universaledition.com/friedrich-cerha-130/werke/spiegel-i-49…]

"Im gesamten Werk gibt es vielfältige Beziehungen: Angedeutetes oder Liegengelassenes, das später auf für die Form wesentliche Weise wieder aufgegriffen und entwickelt wird, Reminiszenzen oder Verdichtungen verschiedenster Art, die schließlich aus dem ganzen Komplex ein kohärentes Sytsem, eine Art "Kosmos" werden lassen. Kein Wunder, daß Cerha parallel zur Komposition eine Art "Welttheater"-Konzept entwickelt hat, in dem - der Musik entsprechend - Massenereignisse dominieren und in Bewegungsfolgen von Leibern, Licht und Objekten Uranfangssituationen und Grundvorgänge im Leben der Spezies Mensch gleichsam makroskopisch, aus raumzeitlicher Distanz betrachtet werden."
Cerha, Gertraud (1996): Profil Friedrich Cerha. In: Landesmann, Hans (Hg.): Projekt Friedrich Cerha. Programmbuch der Salzburger Festspiele 1996. Salzburg u. a., S. 64.

Uraufführung

9. Oktober 1972 - Opernhaus Graz
Veranstalter: Steirischer Herbst
Mitwirkende: ORF Radio Symphonieorchester Wien, Cerha Friedrich (Dirigent)

Weitere Aufführungen (Auswahl)

6. November 2006 - Wiener Konzerthaus, Grosser Saal
Veranstalter: Wien Modern
Mitwirkende: SWR Sinfonieorchester, Sylvain Cambreling (Dirigent)

28. Oktober 2011 - Wiener Konzerthaus, Großer Saal
Veranstalter: Wien Modern
Mitwirkende: ORF Radio Symphonieorchester Wien, Cornelius Meister (Dirigent)

20. November 2020 - Wiener Konzerthaus, Großer Saal
Veranstalter: Wien Modern
Mitwirkende: ORF Radio Symphonieorchester Wien, Ingo Metzmacher (Dirigent)

Aufnahmen

1997 Friedrich Cerha. Spiegel / Momentum Für Karl Prantl / Für K (col legno Musikproduktion)
2010 Friedrich Cerha. Spiegel – Monumentum – Momente - Sylvain Cambreling, Dennis Russell Davis, SWR-SO Baden-Baden, RSO (Kairos BSKAI 001300)

Titel: Friedrich Cerha ~ Spiegel
Plattform: YouTube
Herausgeber: MUSIC?
Datum: 03.10.2013
Mitwirkende: ORF Radio Symphonieorchester Wien, Cerha Friedrich (Dirigent)
Weitere Informationen: Kontor New Media Music

Pressestimmen (Auswahl)

31. Oktober 2011
"Die Aufführung selbst – von gut eineinhalb Stunden Dauer – war mehr als eindrucksvoll, Friedrich Cerha stand über die oft fast einen Meter hohe Partitur aller Stimmen gebeugt am Regler der Tonbandzuspielung und steuerte diese in fünf der sieben Stücke. Der Dirigent begrüßte die Musiker und den Konzertmeister, der in diesem Stück am letzten Pult postiert ist und manchmal auch alleine hohe Geigen-Tremoli auszuführen hat.  Das Werk in seiner instrumentalen Vielfältigkeit fesselte in seinem ersten dumpfen Grollen in den tiefen Blechbläsern, in seinen klanglichen Schattierungen und ersten Akkordzusammenballungen über die dargestellten Katastrophen, vielleicht auch Bombenangriffen (sechs Schlagwerker) bis zum beeindruckenden Ende mit einem Unisono-Ton, der zuvor immer wieder in seine Teiltonspektren aufgefächert wurde. Friedrich Cerha war sichtlich zufrieden, als er sich verbeugen gehen musste."
mica-Musikmagazin: Eröffnungskonzert WIEN MODERN im Großen Konzerthaussaal: Friedrich Cerhas „Spiegel I-VII“ mit dem ORF-RSO Wien (Nachbericht) (Heinz Rögl)

Literatur (Auswahl)

2005 Urbanek, Nikolaus: Spiegel des Neuen. Musikalische Untersuchungen zum Werk Friedrich Cerhas. Bern, S. 47–91.
2017 Töfferl, Sabine: Friedrich Cerha. Doyen der österreichischen Musik der Gegenwart. Eine Biografie. Wien, S. 168–175.

Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 21. 2. 2023): Cerha Friedrich . Spiegel I-VII. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/124132 (Abrufdatum: 22. 12. 2024).