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Tramas: Bogotá 2003

Werktitel
Tramas: Bogotá 2003
Untertitel
Musik zu "El Nudo", Experimentalvideo über die Stadt Bogotá (Stereo)
Komponist:in
Entstehungsjahr
2004
Dauer
42m
Genre(s)
Neue Musik
Gattung(en)
Filmmusik
Elektronische Musik
Besetzung
Elektronik
Art der Publikation
Manuskript
Beschreibung

Ausgangspunkt der Arbeit sind ca. 16 Stunden Aufnahmematerial, das in Zusammenarbeit mit dem Tonmeister Cesar Salazar, mit Hilfe von 2 DAT-Aufnahmegeräten und diversen Mikrophonen während 3 Wochen in Bogotá im April 2003 für dieses Projekt gesammelt wurde. Die Aufnahmen wurden aus der Perspektive von 5 vordefinierten, virtuellen "Personen" gemacht, die jeweils einen Raster der Stadt zu einer bestimmten Tageszeit durchlaufen und dadurch eine "Sicht" der Stadt darstellen:

1. Der Mensch: Eisenbahnkorridore: Abend
2. Der Vogel: Grüne Wege, Hochlandgipfel am östlichen Stadtrand, Parks: Sonnenaufgang, Morgen
3. Der Frosch: Bäche, unterirdische Kanäle, Sumpfgebiete: Sonnenuntergang
4. Der Hund: Straßennetz: Mitternacht
5. Der Teufel: Hochspannungsnetz, Umspannwerke: Uhrzeit unbestimmt

Das Klangmaterial wurde in der Folge mit Hilfe von verschiedenen digitalen Klangverarbeitungsverfahren wie Resonanzfilterung, spektrale Filterung, Kornsynthese und spektrale Multiplikation bearbeitet und montiert. Die Form stellt einen langsamen Beschleunigungsprozess, ausgehend von quasi statischen Klangtexturen im ersten Teil bis hin zu schnelleren, dynamischen Entwicklungen im fünften Teil, dar. Dies spiegelt sich in der Dauer der einzelnen Hauptabschnitte deutlich wieder, die stets kürzer werden. Die fünf Hauptteile sind durch Überleitungen verbunden, wo hauptsächlich unbearbeitetes Material hörbar wird. Obwohl das ursprüngliche Klangmaterial nur selten erkennbar durchscheint, ist es dennoch stets präsent, bestimmt durchgehend die spektrale Färbung und prägt die rhythmische Textur der Musik mit.

Insgesamt ist "el Nudo" eine Reflexion über die zeitgenössische Stadt im Allgemeinen und über die Stadt Bogotá im Besonderen. Keine Geschichte wird erzählt. Es wird lediglich beobachtet und zugehört und das Ergebnis dieser Tätigkeit in Form von Bild- und Klangsequenzen, welche die Struktur der Stadt selbst bestimmt, festgehalten.

Zeitablauf

Beginnzeit Dauer
[00:00]       Einleitung [1:02]
[01:02]       I. Teil: der Mensch [9:56]
[10:58]      Überleitung [1:20]
[12:18]      II. Teil: der Vogel [8:50]
[21:08]      Überleitung [1:16]
[22:24]      III. Teil: der Frosch [7:19]
[29:43]      Überleitung [1:07]
[30:50]      IV. Teil: der Hund [6:10]
[37:00]      Überleitung [0:50]
[37:50]      V. Teil: der Teufel [4:01]

Die im Rahmen des Projektes definierten virtuellen "Personen" sind symbolisch beladen und beziehen sich direkt auf konkrete Aspekte der Stadt.

Der Mensch symbolisiert die Kunstfertigkeit

Im Verlauf von drei verschiedenen, angefangenen und nie vollkommen verwirklichten Stadtbauplänen von Bogotá (1933 von Karl Brunner, 1947 von Le Corbusier und 1959 von Diktator Rojas-Pinilla) wurde im Rücken der heutigen Stadt ein Stadtteil als Kern jener Stadt aus der Zeit der Republik (1810-1910) dem Verfall preisgegeben: "San Victorino", "San Bernardo" und "Santa Bárbara". In diesen Stadtteilen ist die Person des Menschen inspiriert, der bis 1948 noch mit der Straßenbahn oder in den Vororten der Stadt mit der Schmalspureisenbahn gefahren ist, und dessen Spuren heute in Orten wie dem alten Cafe "St. Moritz" oder der alten Einkaufspassage "Hernandez" zu finden sind. Die Haupteigenschaft des Menschen ist die Kunstfertigkeit (Artificio) und die Farbe und Textur seiner Bilder sind die Farben der Nacht.

Der Vogel symbolisiert die Natur

Die Person des Vogels ist aus mehreren Arten zusammengestellt und erlaubt dadurch, ihm kontrastierende Symbole zu verleihen: die Blume und der Müll; das Leben durch den Kolibri, Bläuling, Kardinal und Grünfink, die in den Vorgärten und Höfen aus Stadtteilen wie "La Merced", "Palermo","Nicolás de Federmán", "Belalcázar" und "Teusaquillo" zu finden sind; der Tod durch den großen Rabengeier, den Sperber und den gelbköpfigen Adler, die sowohl die Müllplätze in der Stadt und die Ufer des Bogotá-Flusses als auch das Elend der Müllmenschen aus hoher Entfernung überfliegen. Die Haupteigenschaft des Vogels ist die Natur und seine Farben sind die Farben des Sonnenaufgangs, des Tages.

Der Frosch symbolisiert das Heilige

Bis zum XIX. Jh. waren die Sumpfgebiete des Hochplateaus von Bogotá das Bindeglied der Wasserstraße, welche die Flüsse aus den östlichen Bergketten mit dem Bogotá-Fluss im Nordwesten verband. Den Frosch als Teil des Ecosystems findet man heute noch in den verdrängten Sumpfgebieten und in vielen Kanälen.
Nach einer Chronik von Tomás Estevez und Adela Chacín, war das Hochplateau bevorzugter Ort für Austausch von Landwirtschaftsprodukten in der Zeit vor der Eroberung. Die Indianer kamen aus wärmeren Gegenden im Osten, überquerten das Ödland von Choachí und erreichten das Hochplateau über den "Boqueron" entlang des Flusses San Francisco, im heutigen Zentrum von Bogotá. Andere kamen aus dem Westen, entlang des Bogotá-Flusses und wieder andere über das Ödland von Sumapaz.
Die Person des Frosches ist dadurch mit dem Indianer verbunden und sein Blick ist einerseits der Blick des Indianers, der das Hochplateau entlang der Flüsse erreicht, die heutige verbaute Stadt vorfindet, die unterirdisch weitergeführten Flüsse durch die Kanäle verfolgt und die begrabene Stadt, den geistig-synkretischen Unterbau der Stadt, Mischung aus Glauben und Aberglauben, findet. Diese verlorene Stadt ist die Stadt des Frosches und ist auch Symbol einer verlorenen Religiosität, in der die Natur, wie die von den spanischen Eroberern bewusst ausgerotteten Nussbäume, heilige Eigenschaften besaß. Anderseits erblickt der Frosch die Spiegelungen der Wasseroberfläche in den durch unkontrolliertes Wachstum der Stadt verdrängten Sumpfgebieten. Seine Zeit ist der Nachmittag.

Der Hund symbolisiert den Wahnsinn

Die Person des Hundes entstand aus der Beobachtung der ärmsten herumstreunenden Menschen in Bogotá und ihren Hunden, die seit Jahrzehnten als Bettler oder als Sammler von Zeitungspapier und leeren Flaschen mit ihren Seifenwagen ewige Bewohner der Straßen sind. Die Obdachlosigkeit in Bogotá ist durch eine extreme, unvorstellbare Verwahrlosung fast untrennbar mit dem Wahnsinn verbunden.
Die Person des Hundes symbolisiert den Obdachlosen, den Bettler, den Bedürftigen. Seine Sicht der Stadt ist durch eine spezifisch urbane Form von Wahnsinn geprägt. Seine Haupteigenschaft ist das Umherirren, seine Zeit ist die Mitternacht.

Der Teufel symbolisiert die Vielfalt

Die Schwierigkeit, das Symbol des Teufels isoliert von den anderen Symbolen zu finden ist gleichsam seine Haupteigenschaft. Beim Versuch, sämtliche im Laufe des Projektes gemachten Fotos in Raster aufzuteilen, zeigte sich, dass Bildelemente des Teufels in fast allen Fotos vorhanden waren. Die lebendige, wirkliche Stadt zeigte sich als unentwirrbares Aufeinandertreffen verschiedener Raster. Der Teufel ist deshalb das schwierigste Symbol weil seine Logik die Logik der Stadt selbst ist, nämlich seine Mehrdeutigkeit, die Vielfalt seiner Formen. In der Person des Teufels treffen alle anderen Personen zusammen. Er definiert sich mehr als Leitfaden bzw. Prozess statt als Zustand. Seine spezifisch moderne Eigenschaft ist die Allgegenwärtigkeit.

Germán Toro Pérez (2004), abgerufen am 25.09.2020 [http://www.toro-perez.com/works/electroacoustic-works]

Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 25. 9. 2020): Toro Pérez Germán . Tramas: Bogotá 2003. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/201333 (Abrufdatum: 1. 5. 2024).