Solo: Countertenor (1)
Posaune (1), Akkordeon (1), Klavier (1, präpariert), Violine (2), Violoncello (1)
Beschreibung
"Die biblische Erzählung »Jesus und die Ehebrecherin« berichtet über die Steinigung einer Frau, die ihren Mann betrogen hat. Jesus steht im Mittelpunkt, vielleicht reicht ihm jemand einen besonders kantigen Stein – alle warten auf sein Signal. »Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!«spricht Jesus, seinen Stein zurücklegend. Die Menge zögert. »Wer ohne Schuld ist, der werfe!«, mag Jesus wiederholt haben. Niemand wirft einen Stein. Damals. In diesem Moment. Doch der Schall dieses Satzes stieß auf Hindernisse. Noch einmal und noch einmal. Immer und immer wieder. Sein Echo wird man morgen noch hören."
Mathias Johannes Schmidhammer (2020)
"Der berühmt gewordene Satz Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein, den Jesus laut dem Johannes-Evangelium zu den Schriftgelehrten spricht, ist ein Beispiel für das für die damalige Zeit fortschrittliche Frauenbild, das Jesus verkörperte. Die Ehebrecherin hätte eigentlich nach den damals gültigen Regeln gesteinigt werden müssen, denn der Ehebruch einer Frau war in allen patriarchal geführten Gesellschaften ein besonders schweres Vergehen, da er die Ehre des Ehemannes zutiefst verletzte, und ein Ausbruch aus der dessen Herrschaft war. Jesus stellt dieses Vergehen jedoch auf eine Stufe mit den vielen Schwächen und Unzulänglichkeiten, die alle Menschen haben.
In diesem Stück spielt das Gefühl der Unterdrückung und Verdrängung eine große Rolle. Einerseits durch die Verwendung von Spieltechniken, die auf einen Widerstand bei der Tonproduktion stoßen (etwa die Verwendung des Dämpfers bei der Posaune, stark gepressten Bogendruck, etc.). Andererseits soll die Rhythmik hauptsächlich beim Countertenor das Gefühl vermitteln, dass die musikalischen Gesten gegen den natürlichen Atem komponiert sind, und somit gewissermaßen ein Korsett darstellen.
Die bis zur Absurdität häufigen Wiederholungen des Satzes und eine immer weitere sprachliche Verfremdung im Laufe des zweiten und dritten Teils werfen die Frage auf, ob dieser Satz nicht im Laufe der Zeit in christlichen Institutionen und kirchlich geprägten Gesellschaften etwas an Strahlkraft verloren hat und ob diese in ihrer Betrachtung der Sexualität und der Rolle der Frau nicht oft ein wenig der patriarchalen Gesellschaft von damals ähneln."
Mathias Johannes Schmidhammer (2022), Mail
Auftrag: 2020 Ensemble Wiener Collage
Uraufführung
22. Dezember 2020 - Wien, Arnold Schönberg Center
Veranstaltung: online-Weihnachtskonzert "Jesus und die Frauen"
Mitwirkende: Alois Mühlbacher (ct), Ensemble Wiener Collage, René Staar (Dirigent)
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 20. 12. 2022): Schmidhammer Mathias Johannes . Der erste Stein. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/202716 (Abrufdatum: 25. 12. 2024).