Gerhard Rühm (*1930) gilt als einer der herausragendsten Protagonisten der internationalen konkreten Poesie, der Lautdichtung und als einer der produktivsten Realisatoren des Neuen Hörspiels. Er ist gleichermaßen Komponist, Autor und bildender Künstler sowie Mitbegründer der legendären avantgardistischen "Wiener Gruppe". In den 50er und 60er Jahren ist er zunächst überwiegend literarisch tätig, entwickelt aber Dichtung vor allem in Grenzbereichen zu bildender Kunst und Musik weiter. Die Kompositionen Gerhard Rühms bewegen sich zwischen seriellen Verfahren und radikaler Reduktion. Seit 1978 beruht ein größerer Teil seiner Musikstücke auf einer Technik, die er Transformationsmethode nennt. Texte werden dabei derart "in Musik gesetzt", daß jedem Buchstaben ein Ton auf dem Klavier entspricht, wobei Silben - als Sprecheinheiten - Zusammenklänge bilden können. Zudem entwickelte Gerhard Rühm, ausgehend von einem sich verselbständigenden und von Konventionen befreiten Notenbild, verschiedene Formen "visueller Musik", die nur noch betrachtet werden will. Auch als Textautor und Interpret von eigenen Chansons machte er sich einen Namen. Sein vielseitiges künstlerisches Schaffen -Publikationen (in den Verlagen Rowohlt, Luchterhand, Hanser, Residenz, Haymon), Ausstellungen, Vorträge, Konzerte, Theateraufführungen, Einspielungen als Pianist (u.a. die erste LP mit Werken J.M. Hauers) - wurde mit zahlreichen Auszeichnungen honoriert. Gerhard Rühm lebt in Wien und Köln.
Stilbeschreibung
Gerhard Rühm über das "Eintonstück" für Klavier, 1952
"In einer Phase radikaler Reduktion der künstlerischen Mittel, der Besinnung auf die Grundelemente, kam ich 1952 schliesslich in der Dichtung auf das einzelne Wort ("Einworttafeln") und in der Musik auf den "Ton an sich" - auf "Eintonmusik". nach einer mittelalterlichen Darstellung des Heiligen Augustinus mit einem Monochord auf den Knien liess ich mir dieses archaische Saiteninstrument nachbauen, um darauf über die eine, leer angezupfte Saite zu meditieren. 1952, bei einer Eintagesausstellung Arnulf Rainers, dessen bildnerischen Arbeiten eng verwandte Intentionen zugrunde lagen, spielte ich Eintonmusik auf dem Klavier - allerdings auch unter Einbeziehung der Oktavversetzungen des Zentraltons "a". Ein solches Eintonstück aus dem Jahr 1952 wurde zum ersten Mal 1979 in dem Katalog "Cage Box" (erschienen zum Bonner John-Cage-Festival 6. bis 14. juni 1979) publiziert. In der Konzentration auf einen Ton und das Urintervall der Oktave sah ich das "Tao der Musik" versinnbildlicht. Wie Rainer beschäftigte ich mich damals (und später immer wieder) mit radikaler Mystik wie der des Meister Eckehart und des Johannes vom Kreuz, mit den Upanishaden, dem Tao te king, dem Zen-Buddhismus."
Gerhard Rühm (1997)
Auszeichnungen
1961 Wiener Kunstfonds der Zentralsparkasse Wien Förderungspreis
1976 Bundeskanzleramt Österreich Kunst und Kultur Würdigungspreis für Literatur
1977 SWR - Südwestrundfunk Karl-Sczuka-Preis für Hörspiel
1983 Bund der Kriegsblinden Deutschlands e.V: Hörspielpreis der Kriegsblinden
1984 Stadt Wien Würdigungspreis
1991 Stadt Wien Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien
1991 Republik Österreich Großer österreichischer Staatspreis für Literatur
2007 Alice Salomon Fachhochschule Berlin: Alice-Salomon-Poetik Preis
2007 Stadt Wien Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien
2010 Ehrendoktorwürde der Universität Köln
Ausbildung
mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Wien Klavier Seidlhofer Bruno
1953 - 1954 Privatstudium Hauer Josef Matthias
mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Wien Komposition
Tätigkeiten
1972 - 1996 Hamburg Hochschule für bildende Künste: Professur
1978 - 1982 Graz Grazer Autorenversammlung: Präsident
Aufführungen (Auswahl)
1975 Steirischer Herbst
1976 Musikprotokoll im Steirischen Herbst
1979 Musikprotokoll im Steirischen Herbst
1983 Musikprotokoll im Steirischen Herbst
1998 Salzburger Festspiele Salzburg
2002 Berlin Ensemble Zwischentöne, Ballhaus Naunynstraße Berlin: Konzertreihe "Physiognomien des Lautens"
2004 Musikforum Viktring-Klagenfurt Klagenfurt
2006 Kunsthalle Fridericianum Kassel
u.a.
Pressestimmen
27. Mai 2004
"Rühm war es, der schon in den fünfziger Jahren genial besessen versuchte, außerliterarische Formprinzipien für die Dichtung fruchtbar zu machen. Er begann als Musiker, also mit jener Kunst, die der Mathematik, der Geometrie am engsten verbunden ist. Wenn Rühm seine Texte "geometrisch" strukturierte, dann ging es ihm dabei um die Umsetzung eines Konzepts, das auch vom Publikum nachvollzogen werden konnte."
Die Zeit (Jan Bürger)
25. März 2004
"Das Folgende ist eine Konzertkritik. Obwohl es im Theater stattfand. Obwohl "bloß" ein Dichter auftrat. Und obwohl dieser Dichter [...] schon lange seine treuen Fans hat. Es gelang ihm doch erst an diesem Abend der große Durchbruch. Stimmung: Popkonzert. Das Publikum: jung. Da setzte sich Rühm ans Klavier und gab pannen - vier melodramen nach zeitungsnotizen aus dem Jahr 2002: Ein Mann in der Mark Brandenburg zu Beispiel, der vier Jahre vor dem Fernseher saß. Tot. Niemandem war er abgegangen. In Rühms Vertonung der Zeitungsnotiz ordnet er den voll klingenden Vokalen des Textes bestimmte Tasten der Klaviatur zu. Das Ergebnis: Geistermusik.
Der Standard (Richard Reichensperger)
Links Eintrag in Wikipedia, Literaturhaus, mica-Artikel: Jam-Session mit Gedichten von Gerhard Rühm im Schömer-Haus
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 18. 9. 2024): Biografie Gerhard Rühm. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/63416 (Abrufdatum: 3. 12. 2024).