Ficciones

Werktitel
Ficciones
Untertitel
für Flöte, 9 Instrumente und Tonband
KomponistIn
Entstehungsjahr
1996–1997
Dauer
15m
Genre(s)
Neue Musik
Subgenre(s)
Modern/Avantgarde
Gattung(en)
Elektronische Musik
Ensemblemusik
Besetzung
Soloinstrument(e)
Zuspielung
Kammerorchester/Ensemble
Besetzungsdetails

Orchestercode: 1 (Picc, AFl)/0/1 (BKlar) - ASax (SSax)/0 - 0/0/1/0 - Perc - 2 Git - 1/0/1/1/0 - Tbd

Solo: Flöte (1, auch Piccolo und Altflöte)

Klarinette (1, auch Bassklarinette), Altsaxophon (1, auch Sopransaxofon), Posaune (1), Perkussion (1), Gitarre (2), Violine (1), Viola (1), Violoncello (1), Tonband (1)

Art der Publikation
Manuskript

Uraufführung
1999 - Wien, Wiener Konzerthaus
Veranstalter: Hörgänge – Musik in Österreich
Mitwirkende: Sylvie Lacroix (fl), Ensemble xx. jahrhundert

Beschreibung
"In Ficciones wird man vergebens nach einem geschlossenen Konzept suchen. Eine solche Geschlossenheit habe ich selten erlebt, vielmehr das Fragmentarische, den Konflikt zwischen Strukturen und Prozessen, die sich stören, ablösen oder abrupt unterbrechen.

Fiktion ist hier nicht die phantastische, abenteuerliche ficcion; vielleicht ist es etwas von J. L. Borges' Paradox. Fiktion meint hier Täuschung und Enttäuschung.

Der Kerngedanke entsprang der Reflexion über Luc Ferraris Arbeiten mit anekdotischen Klängen: Die getreue Wiedergabe der akustischen Wirklichkeit sei die wesentliche Eigenschaft des Mediums Tonband, so Ferrari Anfang der 60er Jahre in Reaktion auf die Forderung der musique concrète nach Entfremdung des Klanges von seinem ursprünglichen Kontext.

Warum also nicht das Tonband als erkennbare Wirklichkeitsebene dem vom Alltag entrückten Instrumentalklang gegenüberstellen? Aber die erkennbare Wirklichkeit des Tonbandes ist eigentlich nur Darstellung, Abbild. Im Gegenteil ist die körperliche Tätigkeit des Musikers während einer Aufführung die eigentliche Realität, so ungewohnt der erzeugte Klang erscheinen mag. Also ist die Wirklichkeit des Tonbandes nur eine Täuschung.

Ich habe dann nach Beziehungen zwischen alltäglichen und instrumentalen Klängen gesucht und sie vor allem in der Gestik gefunden: Schritte als alternierende Bewegung, crescendo-diminuendo einer Klangquelle, die schnell am Mikrophon vorbei geht, u.s.w. Anhand solcher Beziehungen fand ich einen Weg, beide Ebenen im musikalischen Kontext zu integrieren, ist doch Klang immer Ergebnis, Spur einer Bewegung oder einer Tätigkeit, jedenfalls einer Reibung der Elemente im Gravitationsfeld, sei es im Konzertsaal, auf der Straße oder im Studio. Der Flöte kommt dabei die Funktion des Auslösers zu. Sie bringt Prozesse in Gang, gibt Impulse, die Entwicklungen verursachen, die Wendepunkte markieren. So hat Ficciones angefangen.

Geendet hat es mit Michelangelo. Und mit ihm kam auch Liszts Klavierstück Il Pensaroso als harmonisches und gedankliches Gerüst dazu, technisch ganz unauffällig eingebaut. Einer der Aspekte, der mich bei meiner Entdeckung Michelangelos am meisten beeindruckte, ist seine späte Relativierung von Kunst, fast würde ich sagen, seine Desillusion darüber, als alter Mann; der Gedanke, seine frühere Kunsterfahrung sei letztendlich ein Irrtum gewesen. Er, Michelangelo, der bildende Künstler schlechthin, der unvorstellbare Begabungen und entsprechendes Selbstbewusstsein besaß, der Werke von unvorstellbare Perfektion hervorbrachte und im Alter wissentlich die vielleicht angesehenste Künstlerpersönlichket seiner Zeit war. Der Gedanke kommt in einem Gedicht Michelangelos an Giorgio Vasari, im Brief vom 19. September 1544 zum Ausdruck. (Ein akustisches Abbild des Gedichtes ist in Ficciones als Schreibgeräusch enthalten):

[...] Onde l'affetuosa fantasia,
che l’arte mi fece idol'e monarca,
conosco or ben, com'era d’error carca,
e quel c'a mal suo grado ogn’uom desia.
[...]
Die holden Phantasien, die mich belogen,
da sie die Kunst zum Abgott mir ersah'n,
erkenn ich nun als Irrtum; jedermann
wird, sich zur Pein, von seinem Wunsch betrogen.
[...]
(Übersetzung von Hannelise Hinderberger)

War das nur eine momentane Reaktion in einem Gedicht, ein überzeichneter Ausbruch eines als impulsiv beschriebenen Mannes aufgrund irgendwelchen alltäglichen Ärgers vielleicht, oder enthält das einen Kern tiefgreifenden Empfindens eines reifen Mannes, der jenseits von Eitelkeit ist und seine Werke hinter sich gelassen hat? Kunst als Lüge, Irrtum, trügerische Erfahrung, Kunst als fiktive Erscheinung sofern sie überschätzt, vergöttert, abseits vom Leben geortet wird?

Die Aufnahmen wurden in Hofstatt, Wien und Rom sowie im Atelier von Susanne Kompast realisiert. Die Tonbandfragmente wurden am Institut für Elektroakustik, experimentelle und angewandte Musik an der Musikhochschule Wien und im eigenen Studio produziert."
Germán Toro Pérez (1997), abgerufen am 25.09.2020 [http://www.toro-perez.com/works/instruments-electronics]