Klavier (1), Elektronik (1, live)
Bezugsquelle/Hörbeispiel: Universal Edition
Beschreibung
"Schatten sind nicht ausschließlich stille und nicht ausschließlich analoge Begleiter. Georg Friedrich Haas greift aus der Vielzahl möglicher ästhetischer Spielarten mit dem Projektionsbild eine Variante auf, in der ein Pianist seinen eigenen Schatten vorauswirft. Die elektronischen Mittel: Das Gespielte wird live aufgezeichnet und mit einer Verzögerung von anfangs 24 Sekunden zum Klavier um einen Viertelton höher transponiert wiedergegeben. In der Sukzession des Werkes wird das Tempo der Echowiedergabe um den Faktor 32/33 gesteigert, der Klavierklang selbst bleibt elektronisch unverändert. Innerhalb des Zuspielverlaufs ergeben sich genauest kalkulierte pulsierende Parallelen zwischen der Echtzeit-Performance und der Aufzeichnungswiedergabe, deren Positionen aufgrund der gerafften Zuspielung jedoch keine exakten zeitlichen Übereinstimmungen erlauben. Wie der Mond in den Erdschatten eindringt und in einer Mondfinsternis das kosmische Schattenspiel zu einer deckungsgleichen Form kommt, folgt der Klangschatten dem Interpreten in immer kürzer werdenden Abständen, bis die Dauerndifferenz zwischen dem Klangsender und seinem transformierten Echo am Ende des Stückes auf null steht.
In der filigranen Tonwelt des österreichischen Komponisten, in der immer wieder Abend- und Nachtstimmungen irrlichterne Netze ziehen, nehmen die Veränderungen der klanglichen und harmonischen Möglichkeiten der tradierten Skala mittels Mikrotonalität oder Experimenten mit schwebenden Obertonkonstellationen einen breiten Raum ein. Im Schattenspiel zitiert er die harmonischen Systeme der Vierteltonmusik von Ivan Wyschnegradsky und dessen temperierte Halbierung von großen Septimen sowie Richard Heinrich Stein, worin tonale Akkorde mittels Stimmführung in Vierteltonschritten verbunden werden. Haas interessierte an seiner Deutung des Schattenspiels vor allem der geschichtliche Aspekt: „Der Spieler des Stückes sieht sich immer wieder von Neuem dem gegenübergestellt, das er gerade gespielt hat. Die Live-Elektronik konfrontiert ihn mit seiner eigenen Geschichte. Schließlich wird er dann durch diese Geschichte eingeholt.“"
Therese Muxeneder, Werkeinführung, Universal Edition, abgerufen am 28.09.2021 [https://www.universaledition.com/georg-friedrich-haas-278/werke/ein-schattenspiel-11528]
Uraufführung
25. April 2004 - Köln (Deutschland), Funkhaus Wallrafplatz
Veranstalter: WDR - Westdeutscher Rundfunk
Mitwirkende: Siegfried Mauser (Klavier)
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 6. 2. 2024): Haas Georg Friedrich . Ein Schattenspiel. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/140978 (Abrufdatum: 27. 12. 2024).