Orchestercode: Hf, Pf - Str: 6/6/4/4/2
Harfe (2), Klavier (1), Violine (12), Viola (4), Violoncello (4), Kontrabass (2)
ad Streicher: mit je umgestimmten Zweitinstrument
ad Harfe: Harfe mit 2 mikrotonal umgestimmten Harfen, eventuell noch einer dritten, traditionell gestimmten Harfe
Bezugsquelle/Partitur und Stimmen: Ricordi Berlin
Beschreibung
"Von solchen Fragen fasziniert ist der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas. Er zählt schon seit vielen Jahren zu den produktivsten und innovativsten Komponistenpersönlichkeiten. Seine Opern werden an den großen Häusern in London und Berlin gespielt, die Berliner Philharmoniker nehmen seine Werke mit auf Tournee. Seine experimentelle Suche nach neuen Formen hat er darüber allerdings nicht aufgegeben. Sein drittes Streichquartett In iij. Noct. beispielsweise wird in vollständiger Dunkelheit aufgeführt: Spieler wie Hörer sind ganz auf ihren Hörsinn gestellt, erkunden gemeinsam den ungewohnten Hörraum. Ein anderes erstaunliches Werk ist Hyperion, ein Konzert für Lichtinstallation und Orchester.
Das auffälligste Charakteristikum seiner Musik ist jedoch ihr außergewöhnlicher Klang, der über die Grenzen der klassischen Harmonik weit hinausgeht und in die Welt der Mikrotonalität eintaucht – also auch zu jenen Tonhöhen, die »zwischen den Tasten« des Klaviers liegen. Wer hier nun besonders schräge Töne erwartet, wird überrascht sein von den Wellen des Wohlklangs, mit denen Haas seine Zuhörer zu überwältigen vermag. Auch wenn schräge Töne am Beginn seiner Versuche mit Mikrotonalität standen. »Durch einen biografischen Zufall hatte ich eine Frau geheiratet, die ebenso wie ich einen Flügel besaß«, erzählte er einmal. »Und unsere Wohnung hatte Platz für beide. Da habe ich mich entschieden, einen der Flügel einen Viertelton tiefer zu stimmen, um meine mikrotonalen Leidenschaften wirklich klingend zu realisieren. Das war ein eher dorniger Weg. Ich musste erstmal jemanden finden, der da mitmacht! So habe ich anfangs allein auf beiden Flügeln gespielt – mit der rechten Hand den einen, mit der linken den anderen. Das mag wie ein origineller Einfall ausgesehen haben, war aber doch mehr ein Verzweiflungsakt.«
Die Welt der Vierteltöne war aber nur eine Zwischenstation. »In den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit den Phänomenen der Obertonskala beschäftigt.« Obertöne sind ein Phänomen, das seit der Antike bekannt ist: Über einem Grundton schwingen jeweils Teiltöne mit, die maßgeblich für die Klangfarbe eines Tones verantwortlich sind. Diese Obertöne weichen auf »natürliche Weise« von den Tonstufen der temperierten Tonhöhen ab, wie man sie üblicherweise auf einem Klavier findet. Haas nutzt diese Gesetzmäßigkeiten für seine Musik, die den Hörer mit geradezu wollüstigen Harmonien regelmäßig in rauschhafte Zustände zu versetzen vermag. »Das Neue ist nicht dort, wo man es sucht«, konzediert der Österreicher. »Das ist wie mit Pilzen. Die kann man auch nicht konkret suchen, aber sie sind plötzlich in unterschiedlichster Form da – gerade dort, wo man sie vielleicht überhaupt nicht erwartet.« So wie die Mikrotonalität auch.
Auch sein neues Werk für das Ensemble Resonanz basiert auf dieser Kompositionstechnik. Um die Musik aufzuführen, schreibt Georg Friedrich Haas den Streichern für das Stück sogar je zwei Instrumente vor: ein in traditioneller Stimmung gestimmtes Instrument, und ein zweites, das nach genauen Vorgaben mikrotonal umgestimmt ist. Auch die beteiligte Harfe ist präzise verstimmt, wohingegen das Klavier auf der Bühne ein Bollwerk der wohltemperierten Zivilisation gegenüber den Naturtonwelten darstellt.
Der Titel Release – »Befreiung« – spielt sicher nicht nur auf das erlösende Gefühl an, das für die ganze Stadt und die internationale Musikwelt von der Eröffnung der Elbphilharmonie ausgeht. Haas beschränkt sich auch nicht auf die »freigelassenen Klänge« allein. Die Widmung an die berühmte amerikanische Sexualtherapeutin Barbara Carrellas verweist auf die befreienden – oder sollte man sagen: entsichernden Erfahrungen, die Georg Friedrich Haas in den vergangenen Jahren in New York mit seiner neuen Ehefrau Mollena Lee Williams-Haas gemacht hat. In mehreren großen Interviews hat Haas beschrieben, wie die Entdeckung seiner lange unterdrückten Sexualität ihn befreit und auch..."
Georg Friedrich Haas - Release (von Patrick Hahn), Werkbeschreibung, Ricordi Berlin, abgerufen am 22.07.2021 [https://www.ricordi.com/de-DE/Catalogue.aspx/details/442844]
Auftrag: Ensemble Resonanz, Ernst von Siemens Musikstiftung für die Eröffnung der Elbphilharmonie Hamburg
Widmung: Barbara Carellas
Uraufführung
12. Januar 2017 - Hamburg (Deutschland)
Mitwirkende: Ensemble Resonanz, Emilio Pomàrico (Dirigent)
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 19. 10. 2021): Haas Georg Friedrich . Release. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/191573 (Abrufdatum: 27. 12. 2024).