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Utopia I: Seltsame Schleifen

Werktitel
Utopia I: Seltsame Schleifen
Untertitel
Konzert für Trompete und Orchester
Komponist:in
Entstehungsjahr
2021
Dauer
21m
Genre(s)
Neue Musik
Gattung(en)
Orchestermusik
Besetzung
Soloinstrument(e)
Orchester
Besetzungsdetails

Orchestercode: Trp, 2/2/2/2- 4/2/3/1 - 3 Perc, 1 Hf - 12/10/8/6/4

Solo: Trompete (1)
Flöte (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba (1), Pauke (1), Perkussion (3), Harfe (1), Violine (26), Viola (10), Violoncello (8), Kontrabass (6)

Art der Publikation
Manuskript

Beschreibung
"Als  ich  Anfang  des  Jahres  2021  von  Wien  Modern  und  dem  RSO  den  Auftrag  für  ein  Konzert  für  Trompete  und Orchester erhielt, tauchte sofort der Gedanke einer komponierten Utopie in meinem Kopf auf. In einem Telefonat mit Bernhard Günther fiel die Überlegung, dass das Festival im Herbst 2021 natürlich auch widerspiegeln würde, was die Pandemie bei den KomponistInnen für Spuren hinterlassen würde. Es schien mir naheliegend, auch aufgrund der Tatsache, dass mein Leben glücklicherweise weitgehend von der Pandemie verschont geblieben war, eine Art Gegenentwurf zu einer Zeit schreiben zu wollen, die für viele dystopische
Züge hatte. Eine Idee, die sich immer wieder im Blick auf mein Schaffen finden lässt: Musik als sinnvoller, durchaus positiver Gegenentwurf zu einer Realität, die auch ausgesprochen bitter sein kann.

Allerdings ist mir die Problematik des Begriffes Utopie bewusst. Für wen ist eine Utopie eine Utopie? Selten für alle Menschen. Das Unbehagen des Begriffes Utopie findet auch in der zweiten Titelhälfte quasi eine Fortsetzung. Lose inspiriert vom Konzept des „strange loop“ (Hofstadter), sind in diesem Werk immer wieder sogenannte seltsame Schleifen anzutreffen. Seltsame Schleifen in der Form von Selbstreferenzialität, aber auch im Sinne von musikalischen Schleifen, welche die HörerInnen immer wieder, durchaus auch überraschend, ähnlich wie bei M. C. Escher beim doch eben verlassenen Ausgangspunkt wiederfinden lassen. Dies kann
auf verschiedenste Arten geschehen: In spiralartigen Konstruktionen, die vom sogenannten Shepard‘s Tone inspiriert sind, in diversen historischen Zyklen (zB. Quintfallsequenz) oder auch in größeren formalen Schleifen. Die Rolle der Trompete(rin) ist nicht nur die einer führenden Solostimme; die Frage nach der Balance zwischen Solo und Orchester nicht nur eine rein klangliche, sondern auch eine Frage der Bedeutung. Von wem gehen die Impulse aus? Wer dominiert das Geschehen? Ist das Soloinstrument ein primus (eine prima) inter pares? Fügt sich das Soloinstrument in das Gesamtsystem? Verweigert es die Teilnahme? Wenn dieses Soloinstrument nun von einer Solistin interpretiert wird, die als erste Frau in der 70-jährigen Geschichte des ARD-Wettbewerbs im Fach Trompete den ersten Preis gewonnen hat, gewinnt die Chose an zusätzlicher Brisanz. Während die Solo-Trompete sich in der Regel in die harmonischen Gesamtsysteme einfügt, kommt es an prominenter Stelle, nämlich dort, wo in einem Konzert die Kadenz anzutreffen wäre, zur Verweigerung und: zu sehr seltsamen Schleifen.

Auch  wenn  eine  Reihe  außermusikalischer  Ideen,  wie  etwa  die  genannten  seltsamen  Schleifen  oder  das Verweigern einer Teilnahme an einem System, die Musik prägen und lenken, so ist es mir doch ausgesprochen wichtig, dass meine Musik nicht in erster Linie als Ausdruck außermusikalischer Konzepte betrachtet wird. Meine Musik ist in allererster Linie Musik, welche von musikalischer Logik durchzogen ist, die als Musik erdacht
wurde und deren „Bedeutung“ nicht in einer oder mehreren außermusikalischen Idee(n) liegt. Ich betrachte das Komponieren als kontingentes Spielen, mich selbst, beim Komponieren, gerne als Lego spielendes Kind. Es ist jedoch nicht so, dass ich nach Plan ein Gebäude errichte oder mir ein bestimmtes Gebäude vorstelle, und dieses dann errichte. Zunächst einmal errichte ich gar kein bestimmtes Gebäude, sondern etwas, wofür ich keine Bezeichnung habe. Nachdem ich einen Stein gesetzt habe, betrachte ich diesen. Dann setze ich einen zweiten Stein hinzu. Die Konstellation dieser beiden Steine wirkt auf mich. So setze ich den den dritten, etc.
Ich arbeite sozusagen am Detail, habe aber ständig eine (oder mehrere) mögliche Großform(en) im Kopf. Die formale Idee wird allerdings ständig, nach Setzen jedes weiteren Steines, korrigiert, in eine andere Bahn gelenkt. Gleichzeitig beeinflusst der mögliche Gesamtverlauf des Stückes das Setzen der einzelnen Steine. Es herrscht also in mehrerer Hinsicht zirkulare Kausalität vor. Zwischen dem Detail und dem Ganzen; zwischen dem Gesetzten und dem, was ich setze. Das, was entsteht, ist möglich, aber nicht notwendig. Es ist kontingent, aber nicht beliebig."
Werkeinführung, Thomas Wally, abgerufen am 03.11.2021 [http://www.thomaswally.com/assets/we_utopiai-seltsameschleifen.pdf]

Auftrag: ORF Radio-Symphonieorchester Wien und Wien Modern

Widmung:
Selina Ott

Uraufführung
30. Oktober 2021 - Wien, Wiener Konzerthaus
Veranstaltung: Wien Modern - Eröffnungskonzert

Mitwirkende: Selina Ott (Trompete), ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Marin Alsop (Dirigentin)

Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 3. 11. 2021): Wally Thomas . Utopia I: Seltsame Schleifen. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/203639 (Abrufdatum: 28. 3. 2024).