""Musik war historisch eine von vielen Waffen im Dienste der Interessen der Mächtigen/Herrschaft", hält der 1936 in Teheran (Iran) geborene Komponist Djahan Tuserkani fest. Er musste 1964 aus dem Iran fliehen, nachdem er aus politischen Gründen erst aus der nationalen Rundfunkanstalt entlassen, dann inhaftiert, gefoltert und über ihn ein Berufsverbot verhängt worden war. Seither lebt er in Wien, wo er von 1965 bis 1975 bei Alfred Uhl, Roman Haubenstock-Ramati (Komposition), Paul Kont (Medienkomposition) und Dieter Kaufmann (elektroakustische Musik) studiert hat. Djahan Tuserkani arbeitete als freischaffender Komponist und unterrichtete ab 1980 an einem Wiener Gymnasium. Geprägt von den Erlebnissen in seiner Jugend in Teheran, übermitteln seine Kompositionen eine starke politische Botschaft, die sich in unterschiedlichen Facetten gegen die Vereinnahmung der Freiheit des Einzelnen richtet. So wie etwa "Nostalgie des Gefangenen", uraufgeführt beim Festival Hörgänge 1997 im Wiener Konzerthaus, "Resistance - ein Traum nach Vorwärts" basierend auf Texten von Erich Fried und Peter Turrini (2000) oder "Verstrahlt - verdrängt - vergessen. Fragen nach Tschernobyl" (2006) zur Eröffnung einer Greenpeace-Ausstellung mit Fotos von Robert Knoth, das vom Ersten Frauen-Kammerorchester uraufgeführt worden ist.
Über seinen künstlerischen Zugang hält Djahan Tuserkani fest, dass es "in Anwendung der ,Kritischen Ästhetik' gilt, Musik so zu komponieren, dass sie auch als Mittel gegen Herrschaftsinteressen verstanden werden soll". Dafür hat er seine eigene Klangsprache etabliert: "Im Aufeinandertreffen von Terzen, die jeweils durch ein differenziertes Metrum getrennt sind, entsteht Reibung und Widerspruch. Diesen Klangkomplex definiere ich in Anlehnung an diverse Arten von ,Ismen' - wie z.B. Barbarismus, Imperialismus, Impressionalismus, Bruitismus - als ,Terzismus'.""
Marie-Therese Rudolph (2022): Der Wiener Irani Djahan Tuserkani komponiert politische Botschaften, abgerufen am 10.8.2024 [https://oe1.orf.at/programm/20220310/671827/Der-Wiener-Irani-Djahan-Tus…]
Stilbeschreibung
"Musik war historisch eine von vielen Waffen im Dienst der Interessen der Mächtigen/Herrschaft. In der Moderne dient sie somit konsequenterweise den Interessen des sogenannten freien Marktes. In Anwendung der "Kritischen Ästhetik" gilt es, Musik so zu komponieren, dass sie auch als Mittel gegen Herrschaftsinteressen verstanden werden soll. Im Aufeinandertreffen von Terzen, die jeweils durch differenziertes Metrum getrennt sind, entsteht Reibung und Widerspruch. Diesen Klangkomplex definiere ich in Anlehnung an diverse Arten von "Ismen" - wie z.B. Barbarismus, Imperialismus, Impressionalismus, Bruitismus - als "Terzismus"."
Djahan Tuserkani (2004)
"Seine Werke sind stilistisch schwer einzuordnen. Wegen des abstrakten Charakters von Musik verwendet er zusätzliche Darstellungsmittel wie Texte, Pantomime, Choreographie, Videoinstallationen. Im Bearbeitungsprozeß dieser Komponenten durch provokante Effekt- und Lautäußerungen und der Prägung durch exotisches Tonmaterial entsteht so stilistische Ungewohntes. Seine Musik kommt aus dem Widerstand."
Wolfgang Stahl (1994), zitiert nach: Günther, Bernhard (1997) (Hrsg.): Lexikon zeitgenössischer Musik aus Österreich: Komponisten und Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Wien: music information center austria, S. 1089.
Auszeichnungen
1981 Musikprotokoll im Steirischen Herbst: 1. Preis
1997 Internationale Gesellschaft für Neue Musik - IGNM Österreich: Nominierung für die Weltmusiktage in Seoul
1998 Prof. Ivan Spassov Foundation (Bulgarien): 2. Preis
1999 Internationale Gesellschaft für Neue Musik - IGNM Österreich: Nominierung für die Weltmusiktage in Rumänien
2000 Initiative Minderheiten in Zusammenarbeit mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien: 1. Preis
2003 Internationale Gesellschaft für Neue Musik - IGNM Österreich: Nominierung für die Weltmusiktage in Laibach
Ausbildung
erster Klavierunterricht mit neun Jahren
Teheran Studien Harmonielehre während der Gymnasialzeit am Konservatorium
Teheran Studien Korrepetition während der Gymnasialzeit am Konservatorium
Teheran Studien während der Gymnasialzeit am Konservatorium Klavier
1965–1975 mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien: Elektroakustik (Dieter Kaufmann), Komposition (Alfred Uhl, Roman Haubenstock-Ramati), Medienkomposition (Paul Kont)
Tätigkeiten
1959–1961 Teheran freiberuflicher Gestalter von musikalischen Jugendprogrammen bei Rundfunk und Fernsehen
1961 Inhaftierung aus politischen Gründen, nach der Freilassung Berufsverbot
freischaffender Komponist
Wien Instrumentalunterricht an einem Gymnasium
Aufträge (Auswahl)
ORF - Österreichischer Rundfunk
Internationale Gesellschaft für Neue Musik - IGNM Österreich
Ensemble 2001
1. Frauen-Kammerorchester von Österreich
Aufführungen (Auswahl)
in Asien, Europa, Afrika und Südamerika
Pressestimmen
18. März 2002
"Auch Djahan Tuserkanis Chor-Klavier-Werk 'Fasciophonie II', gehaucht vom um die Anwesenden postierten Webernkammerchor, hätte mehr Ohren verdient. Es baute um die Hörer eine vokale Kathedrale aus Flächen, Glissandi und sequenzartig aufsteigenden Blöcken. Unmittelbar. Auratisch. Ohne jedoch Klangzuckerwatte zu werden."
Der Standard
3. März 2001
"Sieger des Wettbewerbs ist der in Teheran geborene, aus politischen Gründen nach Europa emigrierte Komponist Djahan Tuserkani. Seine Vertonung des Minderheiten-Artikels unter dem Titel 'Das Klanggesetz' löst in vielschichtiger, die Moderne weitertragender Instrumentierung die Patina von einem Papier, das vor beinahe einem halben Jahrhundert zum Selbstverständnis einer offenen, Minderheiten berücksichtigenden Gesellschaft beitragen hätte sollen. Texte über Minderheitenrechte in der Monarchie sowie Verordnungen der Nazizeit verleihen dem Papier historische, in unsere eigene Gegenwart reichende Tiefendimension."
Salzburger Nachrichten (Mario Jandrokovic)
13. März 1997
"Tuserkani widmet sein kompositorisches Schaffen dem Widerstand gegen Unrecht und Verfolgung, gegen Herrschaft und Unterdrückung. Tuserkani ist einer der engagiertesten Komponisten in Österreich. Verständlich ist, dass sein politisches Engagement ihn drängte, auch musikalisch neue Räume aufzusuchen, womit er sich nicht immer nur Freunde machte."
Radio Österreich 1 (Christoph Becher)
25. Oktober 1981
"Effektvolle Klangergebnisse und optische Komponenten liessen das Stück 'Homo Instrumentalis' freilich zu einem Publikumserfolg werden."
Wiener Zeitung (Reinhard Krischbaum)
20. Oktober 1981
"Denn: 'Jede Musik hat ihren Charakter, bedingt durch die Zeit und die Situation, in der sie entsteht. Ich kann heute keine 'Kantate der Liebe' schreiben, nur damit es schön klingt'. Daher dient die Musik Tuserkanis auch als Ausdrucksmittel der Pein, des geschundenen Menschen. Und das gibt ihr eine Dimension, weit über das rein Klangästhetische hinaus."
Kleine Zeitung Graz (Bernd Schmidt)
Literatur
1997 Günther, Bernhard (Hrsg.): Lexikon zeitgenössischer Musik aus Österreich: Komponisten und Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Wien: music information center austria, S. 1189.
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 14. 8. 2024): Biografie Djahan Tuserkani. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/66396 (Abrufdatum: 21. 11. 2024).