Patricia Jünger © MUBI
""Eigenwillige Frauenstimme" nannte ein Schweizer Journalist die schweizerisch-österreichische Komponistin Patricia Jünger. Seit 1977 widmete sie sich ausschließlich der Komposition.
Patricia Jünger wurde 1951 im Flugzeug auf dem Weg von Dublin nach Wien bei einem Zwischenstopp in Frankfurt am Main geboren. Sie studierte Komposition, Klavier, Orgel und Dirigieren in Wien, Frankfurt am Main und in Paris. Die Emanzipation war ein zentrales Thema für Patricia Jünger und sie war überzeugt von der Notwendigkeit, dass Kompositionen auch soziale und/oder politische Sachverhalte zum Gegenstand haben sollten. So nannte sie denn auch mit Luigi Nono und Hanns Eisler zwei Vorbilder, die als "politische" Komponisten und Musiker gelten, wenn sie auch einer anderen musikalischen Tradition entstammen. Weitere wichtige Komponisten waren für Patrica Jünger: Claude Debussy, Edgar Varèse und Arnold Schönberg.
Ihre politische Haltung und ihr kompositorisches Talent brachten sie zur Zusammenarbeit mit mit der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. So entstand das Hörstück "Muttertagsfeier oder Die Zerstückelung des weiblichen Körpers (1984)" und auch die Ein-Akt Oper "Die Klavierspielerin" (1988) nach dem gleichnamigen Roman von Elfriede Jelinek. 1986 wurde sie für das Hörstück "Sehr geehrter Herr - ein Requiem" als erste Komponistin mit dem renommierten Karl-Sczuka-Preis des SWF Baden-Baden ausgezeichnet [...]. Das Werk wurde 1986 bei den Donaueschinger Musiktagen und 1987 bei der Kasseler documenta 8 präsentiert [...].
Patricia Jünger, die Vielseitige, hinterlässt ein großes Oeuvre, Patricia Jünger lebte in der Nähe von Basel, wo sie 2017 starb."
Österreichischer Rundfunk (ORF) – Ö1: Komponistinnen! - 23 Porträts über Musik und (Frauen) Leben: Patricia Jünger - Eigenwillige Frauenstimme (2022), abgerufen am 04.04.2024 [https://oe1.orf.at/programm/20220823/687897/Komponistinnen-23-Portraets…]
- Stilbeschreibung
"Bereits in den 1980er Jahren zählte Patricia Jünger, die in ihrem eigenen Studio gerne mit Elektronik experimentiert, zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Komponistinnen der Avantgarde – ein Begriff, mit dem sie sich nur identifizieren kann, wenn Avantgarde "nicht um des Preises des Experimentcharakters und der Qualifikationsbezeichnung willen etwas schafft, sondern an den menschlichen Gegebenheiten bleibt, sie formuliert und benennt". Denn "Kunst sollte begleiten können", aber "mit der Technik können Sie keinen Menschen begleiten". Ihre künstlerische Arbeit wird davon motiviert "eine Erhöhung der Wahrnehmungsfähigkeit" zu erreichen, "das zu stören, was Leid macht", wie sie sagt, "vom Leid zu sprechen, weil es zu viel davon gibt". Das Porträt dieser Komponistin wäre nicht vollständig, wenn nicht erwähnt würde, dass sie ihr künstlerisches Tun im gegebenen Fall immer in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang wahrnimmt – wodurch sich auch manchmal "Aktionismus" ergibt, wo sie ihn nicht geplant hatte."
Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres - Sektion für Kulturelle Auslandsbeziehungen (Hrsg.): Patricia Jünger, S. 156 (Anna Gadzinski, 2019), abgerufen am 04.04.2024 [https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Kultur/Publikati…]."Entgrenzung, Explosion, Energien nicht allein für den hörenden Kopf und seine Unterteilungen, auch für Haut und Haar, Stoffwechsel der Schwingungen, Audibilitäten, die das Ohr dem Sein selbst nicht entnehmen kann, klingende Morphologien, Erstaunen, Verwirrung, Betörung, aus dem Gleichgewicht kommen: Musik."
Patricia Jünger (1997), zitiert nach: Günther, Bernhard (1997) (Hg.): Lexikon zeitgenössischer Musik aus Österreich: Komponisten und Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Wien: music information center austria, S. 551.- Auszeichnungen
1979 Wiener Kunstfonds der Zentralsparkasse Wien: Preisträgerin
1979 Theodor Körner Fonds: Theodor-Körner-Preis zur Förderung von Wissenschaft und Kunst
1980 Paul-Sacher-Stiftung, Basel (Schweiz): Stipendium
1980 Alban Berg Stiftung, Wien: Stipendium
1981 Bundesministerium für Unterricht und Kunst: Staatsstipendium für Komposition
1983 Amt der Kantonsregierung Aargau (Schweiz): Werkjahr-Stipendium
1986 Südwestfunk (SWF), Baden-Baden (Deutschland): Karl-Sczuka-Preis (Sehr geehrter Herr)
1986 Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Sport: Staatsstipendium für Komposition
1989 Deutsche Akademie der Darstellenden Künste, Bensheim (Deutschland): Hörspielpreis (Valse eternelle - Ein Brief)
1989 Frankfurter Akademie der Künste und Wissenschaften (Deutschland): Auszeichnung (Valse eternelle - Ein Brief)Haus Faber-Castell (Deutschland): Würdigungspreis
Paul und Käthe Kick-Schmidt-Stiftung, Berlin (Deutschland): Stipendium- Ausbildung
1971–1978 Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien: Klavier, Orgel (Alois Forer, Rudolf Scholz), Dirigieren (Karl Österreicher), Komposition/Satzlehre (Erich Romanovsky), Lehrgang Elektroakustische/Experimentelle Musik
Frankfurt am Main (Deutschland): Komposition, Klavier, Orgel, Dirigieren
Paris (Frankreich): Komposition, Klavier, Orgel, Dirigieren- Tätigkeiten
1977–2017 freischaffende Komponistin, Dirigentin
1996 Radio-/Internetprojekt "Rivers & Bridges" - SR DRS Basel, Österreichischer Rundfunk (ORF) – Kunstradio: Mitwirkende, Komponistinzanlreiche Kooperationen mit der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek
- Aufträge (Auswahl)
1981 im Auftrag von Paul Sacher (Schweiz): Vibrazoni, Poem
1981–1983 Musik zum Film - Ulrike Öttinger Filmproduktion: Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse (Regie: Ulrike Öttinger)
1982 im Auftrag von Paul Sacher (Schweiz): Oh you my sweet evening star
1984 Alban Berg Stiftung, Wien: Alban Berg hört Wimbledon
1985 im Auftrag von Paul Sacher (Schweiz): Machines Party
1988 im Auftrag von Paul Sacher (Schweiz): Heller Schein
1988 im Auftrag von Peter Weibel, Valie Export: The Pattern is only Resemblance
1997 Kulturstiftung Pro Helvetia (Schweiz): Transmitter 1 - First to second Nature (Wasser)- Aufführungen (Auswahl)
1982 Paul Sacher (perc), Victoria Hall Genf (Schweiz): Oh you my sweet evening star (UA)
1985 Südwestfunk (SWF), Baden-Baden (Deutschland): Muttertagsfeier oder Die Zerstückelung des weiblichen Körpers (UA)
1986 Slavka Taskova (s), Laura Weidacher (spr), Nicola Weisse (spr), Klaus Henner Russius (spr), Kammersprechchor Zürich, Patricia Jünger (pf), Horst Friedl (perc), Dagobert Koitka (cl) - Donaueschinger Musiktage (Deutschland): Sehr geehrter Herr - ein Requiem (UA)
1987 Schauspielhaus Zürich (Schweiz): Guten Morgen, du Schöne (UA)
1987 Bühnen der Stadt Bonn (Deutschland): Krankheit oder Moderne Frauen (UA)
1988 Theater am Zytglogge, Bern (Schweiz): In Steinschuhen tanzen … (UA)
1988 Nikola Weise (spr), Ingold Wildenauer (spr), Dagobert Koitka (bcl), Norbert Brenner (db), Sylwia Zytynska (perc), Wolfgang Heininger (perc) - Südwestfunk (SWF), Baden-Baden (Deutschland): Warten auf ein Wunder (UA)
1989 Christa Berndl (spr) - Süddeutscher Rundfunk (SDR), Stuttgart: Valse eternelle - Ein Brief (UA)
1996 Kleinbasler Rhein-Ufer (Schweiz): Transmitter – First to Second Nature – Vom Flussbett zur Flutung (UA)
1996 Ars Electronica, Linz: Oceanographics (UA)- Pressestimmen (Auswahl)
03. August 2007
"Mit feministisch-kritischem Anspruch hinterfragt die österreichisch-schweizerische Komponistin Patricia Jünger gesellschaftliche Verhältnisse. Exemplarisch kommt dies in zwei Kompositionen aus dem Jahr 1989 zum Ausdruck. So will sich in den «Ländlervariationen über den Heimatbegriff», wie das Stück «Heller Schein» im Untertitel heisst, gemütliche Volksmusikatmosphäre kaum einstellen. Wohl wird wacker im Dreivierteltakt musiziert, doch schon die erste Phrase der Streicher strahlt eine eigentümliche Ambivalenz aus, die vom solistisch eingesetzten Schlagzeug und von der Bassklarinette verstärkt wird. Der suggestive Text Elfriede Jelineks trägt das Seine zur unheimlichen Atmosphäre bei. Im Mitschnitt der Uraufführung aus der Zürcher Tonhalle sorgen das Collegium Musicum Zürich und die Mezzosopranistin Eva Csapò unter der Leitung der Komponistin für eine adäquate Umsetzung. Ist es in «Heller Schein» eine nicht näher definierte Heimatlose, der Jünger eine Stimme gibt, kommt im Hörstück «Valse éternelle – ein Brief» Franz Kafkas späte Geliebte Milena Jesenská zu Wort. Weil ihre Briefe an den Dichter verschollen sind, hat die Schriftstellerin Ria Endres einen neuen Text verfasst, der von der fundamentalen Unvereinbarkeit der Lebensentwürfe der beiden Liebenden spricht. Jünger unterlegt die rhythmisierte und oft polyphon montierte Stimme der Sprecherin Christa Brendl mit elektronischen Klängen und wenigen Tönen des Klaviers, die zarte Poesie in die ungeschminkten Reflexionen einfliessen lassen."
NZZ – Neue Zürcher Zeitung: Eigenwillige Frauenstimmen (Jürg Huber, 2007), abgerufen am 04.04.2024 [https://www.nzz.ch/eigenwillige_frauenstimmen-ld.424984]23. Mai 1989
"Die Komponistin und Dirigentin Patricia Jünger hat einen Roman von Elfriede Jelinek bearbeitet; sie hat Die Klavierspielerin zu einem Melodram gemacht [...]. Das musikalische Bild, das Patricia Jünger nach dieser Vorlage entwirft, rückt das Ritualisierte der neurotischen, zwanghaften, selbstzerstörerischen Verhaltensweisen von Erika Kohut in den Mittelpunkt. Terrorisierende Klänge sind das Produkt. Auf Häuten wird getrommelt. Gesungene Tonfolgen gehen unter die Haut. Aber wer sich dem aussetzt und die Funkoper hört, wird trotzdem - auch lustvoll - gefesselt sein. Maren Kroymann spricht den durch und durch musikalisierten Text als Teil der Partitur. Sie macht die Qualen der Erika Kohut hörbar, die eigene Anstrengung nicht. Davon ist nur im Gespräch die Rede, denn über die Zusammenarbeit mit Patricia Jünger sagt sie: "Auf alle Fälle überschreitest du mit ihr Grenzen. Eine 'normale‘ Arbeitsweise kommt nicht in Betracht. Sie berührt dich nicht nur, sie geht dich an, heftig. Daß sie dich dabei auf Händen tragen kann, ist kein Gegensatz. Du öffnest dich an Stellen, die du für undurchdringlich hieltest. Du erstaunst dich selbst. Du weißt nicht mehr: ist das Ausbeutung? Du schöpfst aus der Tiefe, holst aus, stichst, triffst. Du merkst: du bist von der Komponistin angestachelt worden wie die Klavierspielerin Erika Kohut von ihrer Mutter ... Es kann bei einer Arbeit mit Patricia Jünger auch Verletzte und Tote geben.""
taz. die tageszeitung: Die Lust am terrorisierenden Klang (Angelika Bauer, 1989), abgerufen am 04.04.204 [https://taz.de/!1811469/]- Diskografie (Auswahl)
2006 Grammont Portrait: Patricia Jünger - Eva Csapo, Collegium Musicum Zürich (Musiques Suisses)
2005 Die Klavierspielerin (Der Audio Verlag)
1996 Transmitter: First To Second Nature (Vom Flussbett Zur Flutung) - Patricia Jünger (ANIGMA acoustic arts)Tonträger mit ihren Werken
2015 Österreichische Musik Der Gegenwart: Elektronische Musik 1-3, 30 Jahre Elektroakustische Musik, Tonband Und ..., Tape Music (Creel Pone) // CD 2, Track 3: Über allen Wipfeln ist Ruh
1997 Contemporary Works For The Violin '97 (Palola Juhani Self-Release) // Track 1: Fourberie
1988 Österreichische Musik Der Gegenwart: Elektronische Musik 3: Tape Music (LP; Amadeo Classic) // A1: Über allen Wipfeln ist Ruh- Literatur (Auswahl)
1987 Cohen, Aaron I.: JUENGER, Patricia. In: International encyclopedia of women composers. New York, NY [u.a.]: Books & Music, 2. Aufl. Online abrufbar unter: https://rme.rilm.org/rme/stable/525503.
1987 Brand, Bettina: Die Sucht nach akustischen Phänomenen: Ein Gespräch mit Patricia Jünger und Laura Weidacher. In: Senator für Kulturelle Angelegenheiten Westberlin / Brand, Bettina (Hg.): Komponistinnen in Berlin. Berlin: Musikfrauen, S. 273ff.
1990 Jelinek, Elfriede: Die Komponistin. Wortmaterial in den Kompositionen Patricia Jüngers. Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag.
1991 Jelinek, Elfriede: Patricia Jünger: die Komponistin. In: Schwarzer, Alice (Hg.): Das neueste Emma-Buch. München: Dt. Taschenbuch-Verlag, S. 108–115.
1996 Häusler, Josef: Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen. Chronik - Tendenzen - Werkbesprechungen. Kassel: Bärenreiter-Verlag.
1997 Günther, Bernhard (Hg.): Patricia Jünger. In: Lexikon zeitgenössischer Musik aus Österreich. Wien: Music Information Center Austria, S. 551–552.
2001 Patricia Jünger (verh. Hauer). In: Marx, Eva / Haas, Gerlinde (Hg.): 210 österreichische Komponistinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Salzburg u. a.: Residenz, S. 470–472.
2005 Naegele, Verena / Debrunner, Nina: Patricia Jünger. In: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz / Dictionnaire du théâtre en Suisse / Dizionario Teatrale Svizzero / Lexicon da teater svizzer Vol. 2. Zürich: Chronos, S. 945f.
2015 Patricia Jünger. In: Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres – Kulturpolitische Sektion (Hg.): KALLIOPE Austria - Frauen in Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft, S. 158, abgerufen am 13.11.2024 [https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Kultur/Publikationen/KALLIOPE_Austria-Frauen_in_Gesellschaft__Kultur_und_Wissenschaft.pdf].- Quellen/Links
Oesterreichisches Musiklexikon online: Jünger, Patricia
Wikipedia: Patricia Jünger
MUGI: Patricia Jünger
IMDb: Patricia Jünger
Schweizerisches Sozialarchiv: Patricia Jünger
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 13. 11. 2024): Biografie Patricia Jünger. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/69664 (Abrufdatum: 14. 11. 2024).