Francis Burt © Universal Edition/Eric Marinitsch
Am 28. April 1926 in London geboren, fühlte sich Burt schon frühzeitig zur Musik hingezogen und verschrieb sich ihr nach seiner Schulzeit und einem kurzen naturwissenschaftlichen Intermezzo bald voll und ganz. Sein Entschluß Komponist zu werden, sah sich zunächst aber mit einem gewaltigen Störfaktor konfrontiert: Burt mußte für dreieinhalb Jahre (1944-1948) zum Heer einrücken. Nach England zurückgekehrt, studierte Burt in Oxford und an der Royal Academy of Music. Um sich kompositorisch zu vervollkommnen, ging er 1951 für drei Jahre nach Berlin, wo er in Boris Blacher den Lehrer fand, den er suchte. Ab 1951 entstanden die ersten vollgültigen Werke, die mit einer Opuszahl versehen, Eingang in die Werkliste fanden. 1956 entschloß sich Burt, nach je einem Jahr Aufenthalt in Rom und London, nach Wien zu übersiedeln, wo er nicht nur Gottfried von Einem kannte, sondern auch jene musikalische Atmosphäre fand, die seinem eigenen Wesen entsprach: wo jenes latente Espressivo, das seine Musiksprache auszeichnet, selbst die experimentellsten und neuartigsten Werke durchzog.
Zitat Francis Burt: "Interessanter als die Frage, warum ich kam, ist aber wohl, warum ich blieb. Erstens konnte man damals in Wien arm sein, ohne sich zu genieren, was mir sehr wichtig war, weil ich wirklich wenig Geld hatte und doch entschlossen war, womöglich keinen Brotberuf zu ergreifen. Außerdem habe ich immer empfunden, dass diese Stadt, die Stadt Nestroys, das bestmögliche Gegengift ist zu einer Erziehung, so wie ich sie 'genossen' habe. Also blieb ich - ich sagte immer 'vorübergehend ständig' - bis ich 1973 auf einen Lehrstuhl für Komposition an der Musikhochschule berufen wurde. Dann mußte ich das Wort 'vorübergehend' wohl oder übel streichen!"
(frei zitiert nach: 'Musikalische Dokumentation Francis Burt' - Hartmut Krones, Hrsg.: Musiksammlung der österreichischen Nationalbibliothek, 1990)
Stilbeschreibung
Nach eingehender Beschäftigung in der Mittelschule mit der klassischen und vor allem der romantischen Musikliteratur hat ein sechzehnmonatiger Aufenthalt 1946/1947 als Armeeoffizier in Nigeria einen sehr befreienden und anregenden Einfluß auf ihn gehabt. Vor allem die Trommelmusik der Ibo-Völker in Südostnigeria hat sein Interesse für die gestisch-tänzerischen, kinästhetischen Wesensmerkmale der Musik geweckt. Nicht, daß irgendwelche Elemente der Ibo-Musik in seiner Arbeit zu finden sind, aber fast das ganze frühe Werk ist vom Tänzerischen und Rhythmischen stark geprägt. So könnte man die 1960 an der Württembergischen Staatsoper uraufgeführte Oper "Volpone" beinahe eine Tanzoper nennen, denn es kommt zwar kein Ballett darin vor, aber sie ist voll von Tanzformen und von Musik, die die Bewegungen der agierenden Sänger gestisch darstellt. Das Ballett "Der Golem", 1965 in Hannover uraufgeführt, nimmt dann eine Schlüsselstellung in Burts Entwicklung ein. Angeregt durch den Stoff, der von ekstatischen religiösen Gefühlen durchdrungen ist, wird die Musik zunehmend melodisch und expressiv; die Festigkeit eines strengen Metrums wird geschwächt. In einem späteren Schlüsselwerk, "Unter der blanken Hacke des Monds", treten Klangflächenelemente hervor. Diese, von Anfang an zum Teil polyphon konzipiert, lösen sich in den darauffolgenden Werken wie etwa bei "Und GOtt der HErr sprach" beinahe zur Gänze in Vielstimmigkeit auf. Das Metrum wird weiter geschwächt, bis in den neuesten Werken der Takt so gut wie jede strukturelle Funktion verliert und das Tempo ständig in Veränderung begriffen ist.
"Ich schreibe jetzt in einem Stil, der in irgendeiner Weise von elektronischer Musik beeinflußt ist: schwebend, mit nur wenig spürbarem Puls, jedoch mit Klangbändern, -flächen und einer zunehmenden Überlagerung von Linien zu einem polylinearen Gefüge. Dennoch bleibt die Geste Ausgangspunkt für all meine Arbeit. In irgendeiner Bedeutung des Wortes war meine Musik immer tonal. Die letzten Reste der klassischen funktionalen Harmonie, die in 'Volpone' oft ironisch angewendet wurden, haben sich über die Jahre aufgelöst, aber im Sinne von Tonalität als Spannungsphänomen - und nicht nur als Synonym für funktionale tonale Harmonik - sind Spannungszentren beinahe immer spürbar."
Francis Burt
Auszeichnungen
1954 Royal Academy of Music London: Mendelssohn-scholarship
1956 Fondation Européenne de la Culture: fellowship
1957 Royal Academy of Music London: Associate
1973 Theodor Körner Fonds: Förderungspreis
1978 Bundeskanzleramt Österreich Kunst und Kultur Würdigungspreis für Musik
1981 Stadt Wien: Auszeichnung
1992 Republik Österreich: Großes Silbernes Ehrenzeichen
1994 Gesellschaft für Elektroakustische Musik Österreich: Ehrenmitgliedschaft
2006 ÖKB - Österreichischer Komponistenbund: Ehrenmitgliedschaft
2006 Internationale Gesellschaft für Neue Musik - IGNM Österreich: Ehrenmitgliedschaft
2006 Republik Österreich Österreichisches Ehrenkreuz I. Klasse
Ausbildung
1943 St. Edward's School, Oxford: Higher School Certificate (Physik, Chemie, Mathematik)
1944 - 1945 University of Cambridge, Cambridge: Offiziersausbildung (Ingenieur)
1946 - 1947 Nigeria (Aba, Kaduna, Lagos): Oberleutnant
1948 - 1951 Royal Academy of Music London (Großbritannien): Komposition (Howard Ferguson)
1949 - 1951 Summer School of Music, Bryanston
1949 - 1951 Summer School of Music, Dartington
1951 - 1954 Hochschule für Musik Hanns Eisler, Berlin (Deutschland): Komposition (Boris Blacher)
1953 Internationale Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt (Deutschland)
Tätigkeiten
1973 - 1992 mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien: Professor für Komposition
1987 ISCM/IGNM/SICM - Internationale Gesellschaft für Neue Musik, Wien: Organisator der ersten Langen Nacht der neuen Klänge im Wiener Konzerthaus als Vizepräsident der Sektion Österreich
1989 - 1991 mdw - Universität für Musik und darstellende Kunst Wien - Institut für Elektroakustik: Leitung
Schüler:innen (Auswahl)
Christian Diendorfer, Jorge Sánchez-Chiong, Axel Seidelmann, Ursula Strubinsky, Franz Thürauer
Aufträge (Auswahl)
BBC - British Broadcasting Corporation "For William", "Streichquartett II", "Fantasmagoria für Orchester"
Staatstheater Kassel Barnstable oder Jemand auf dem Dachboden - Oper in einem Akt nach dem Schauspiel "Barnstable" von James Saunders in der Übersetzung von Hilde Spiel
Und GOtt der HErr sprach - Betrachtungen nach einer goldenen Hochzeit für Mezzosopran, Bariton, Baß, zwei Chöre und großes Orchester
Wiener Symphoniker Morgana - Fünf Bilder für Orchester
Ensemble xx. jahrhundert Echoes - für neun Spieler
Hommage à Jean-Henri Fabre - Eine bukolische Fantasie für fünf Spieler
Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Blind Visions - für Oboe und kleines Orchester
weitere Aufträge u.a. für Manfred von Mautner Markhof und Maximilian Melcher
Aufführungen (Auswahl)
1953 Internationale Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt Darmstadt
1953 Berlin
1955 Baden-Baden
1955 International Society for Contemporary Music IGNM-Fest
1956 Cheltenham Festival
1960 Cheltenham Festival
1960 Stuttgart Württembergische Staatsoper Stuttgart
1961 London Festival Hall London
1964 Genf
1964 Lausanne
1965 London Festival Hall London
1965 Hannover Landestheater Hannover
1966 Vereinigte Bühnen Graz Graz
1968 Vereinigte Bühnen Wien Ges.m.b.H. Wien Theater an der Wien
1969 Vereinigte Bühnen Graz Graz
1969 St. Louis, USA
1972 Belgrad bis 1978: National Opera Belgrad
1972 Santiago de Chile
1976 Wiener Festwochen
1979 Seoul
1982 Wiener Staatsoper
1983 Vereinigte Bühnen Graz Graz
1984 Salzburger Festspiele
1986 Madrid
1991 Huddersfield Contemporary Music Festival Huddersfield
1991 Paris Festival de Paris
1994 London Barbican Centre London
1994 London Festival Hall London
1995 Wien Modern
1997 Kattowitz
1998 Brucknerhaus Linz Linz Francis Burt Tage
1999 Bukarest Roumanian Athaneum Duo - für Klarinette und Klavier
2000 Hörgänge - Musik in Österreich Wiener Konzerthaus Hommage à Jean-Henri Fabre - Eine bukolische Fantasie für fünf Spieler
2001 Bregenzer Festspiele Kunsthaus Bregenz Streichquartett II
2002 Bled (Slowenien): " Three Little Piano Pieces for J. J.", "Hommage à Jean-Henri Fabre", u.a.
2006 Herbert von Karajan Centrum Festkonzert des ÖKB Streichquartett II
2007 Reconsil Sinfonietta Wiener Konzerthaus - Mozart-Saal Festkonzert "85 Jahre IGNM" Blind Visions - für Oboe und kleines Orchester
2011 Wien Modern Wien Morgana - Fünf Bilder für Orchester
Pressestimmen
2001
"Ich bin ein alter Mann und höre zu. Wer hinter diesem Satz etwa lethargische Resignation vermutet, der kennt Francis Burt nicht. Sein 75. Geburtstag im vergangenen April hat ihn nämlich keineswegs dazu verleitet, sich aus dem Musikleben zurückzuziehen, weder als Konzertbesucher, noch als Komponist - das schon gar nicht: "Ich weiß, was ich noch zu machen habe". Und wenn der frühere Hochschulprofessor für Komposition seinen offiziellen Ruhestand auch gerne auf seinem Bauernhof in der Oststeiermark genießt, sind selbst neun Jahre nach seiner Emeritierung Kontakt und Freundschaft zu den einstigen Studierenden nicht abgerissen - ehrliches Interesse am künstlerischen Wollen und Tun der Jungen, ständige musikalische Neugier und der daraus resultierende Einfluß auf die eigene Musik halten den Komponisten Francis Burt nach wie vor in Atem."
Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde Wien (Walter Weidringer)
30. März 1998
"Auf diese Weise wurde Burts 2. Streichquartett aus 1992/93 mit den vielen flirrenden Klangflächen, den überzeugend formulierten Gedanken und den wohlproportionierten Abschnitten vorgestellt. Die Inhalte fügen sich gleichsam zu deutlich unterscheidbaren "Bildern", die sich ohne sonderliche Lautstärke mitteilen und durch Deutlichkeit und Konsequenz überzeugen. [...] Am Ende der Linzer Burt-Tage mit vier sorgsam gewählten Werken, jene für das Theater freilich ausgespart, zeigte sich ein Komponist mit höchst eigenständigem Profil. Seine Musik lebt in unserer Zeit, ohne Etiketten, aber voll Überzeugungs- und Aussagekraft. Sie entzieht auch der allgegenwärtigen verallgemeinernden Argumentationskette mit den Schlagwörtern "20. Jh. - Modern - Unverständlich" den Boden."
Oberösterreichische Nachrichten (Franz Zamazal)
Links
mica-Artikel: Francis Burt im 87. Lebensjahr verstorben (2012)
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 3. 9. 2024): Biografie Francis Burt. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/51760 (Abrufdatum: 21. 11. 2024).